Kommunale Verkehrswende gestalten — Städte als Orte des Mobilitätswandels

Oscar Reutter und Thorsten Koska vom Wuppertal Institut über nötige Veränderungen im Straßenverkehr.

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<h2>Der Verkehr und seine Probleme

Ob Dieselskandal, Parkraumnot oder Dauerstau: Die Mobilität in Städten steht vor großen Herausforderungen. In vielen deutschen Städten werden die Grenzwerte für Stickstoffoxide weit überschritten. Um diesen rechtswidrigen Zustand zu beenden, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Februar 2018 die Städte verpflichtet und ermöglicht, auch Fahrverbote in Erwägung zu ziehen. Die Autohersteller tun allerdings weitgehend so, als hätten sie damit nichts zu tun — für Nachrüstungen fühlen sie sich nicht verantwortlich. Stattdessen werden die neu verkauften Autos immer größer, schwerer und schneller. Und auch die Anzahl der Autos auf den Straßen nimmt immer noch zu.

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Nicht nur die Luftschadstoffbelastungen in Städten zeigen, dass der Verkehr in der Sackgasse steckt. Auch die Treibhausgasemissionen des Verkehrs steigen. Damit Deutschland die Klimaziele von Paris einhalten kann, muss der CO2-Ausstoß des Verkehrs bis 2030 um mindestens 40 Prozent verringert werden — so sieht es immerhin die Bundesregierung. Wie real die Folgen des Klimawandels auch in unseren Breiten sein können, zeigen Extremwetterlagen wie der Starkregen in Wuppertal am 29. Mai 2018.

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Außerdem schränkt der Autoverkehr die Lebensqualität in Städten ein. Der Verkehrslärm macht das Wohnen an Hauptverkehrsstraßen unattraktiv und ungesund, wie etwa in der Friedrich-Engels-Allee im Tal, der Briller Straße, der Gathe in Elberfeld oder am Steinweg und der Westkotterstraße in Barmen. Der Autoverkehr ist gefährlich und das hohe Geschwindigkeitsniveau verschreckt die Radfahrer und nimmt den Kindern die Möglichkeit, sich frei in der Stadt zu bewegen. Wegen der Gefahren bringen die Eltern die Kleinen lieber zur Schule — am liebsten per „Elterntaxi“, also im Auto.

Deshalb ist ein „Weiter so“ im Verkehr keine Lösung. Es braucht eine Verkehrswende, die eine zukunftsfähige Mobilität in Städten möglich macht. Das steigert die Stadtqualität: Wo heute noch Autos parken, können morgen grüne Oasen, Straßencafés oder Spielplätze entstehen. Es ist weniger laut, Menschen jeden Alters können den Straßenraum gefahrlos nutzen. In der ganzen Stadt gilt Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit. Statt mit dem Auto fahren dann viel mehr Menschen mit anderen Verkehrsmitteln zur Arbeit. Zum Beispiel mit dem eigenen Rad zum Bahnhof, von dort mit der S-Bahn weiter und den letzten Kilometer mit einem Leihfahrrad, das an jeder Ecke steht. Das Jobticket fördert der Arbeitgeber, so lohnt sich der Umstieg für fast jeden. Oder es gibt gleich das Bürgerticket, ein „Semesterticket für alle“. Dort, wo die Bus- und Bahnverbindungen schlecht sind, holen in Zukunft autonom fahrende Mini-Busse die Fahrgäste ab und bringen sie von Tür zu Tür. Und wer ein Auto für den Ausflug zum See oder für den Großeinkauf will, kann dafür Carsharing nutzen. Das Carsharing-Auto ist vielleicht sogar elektrisch betrieben, denn die geringeren Betriebskosten können die höheren Anschaffungskosten wieder ausgleichen.

Neue Mobilstationen in den Stadtquartieren machen es leicht, sich im Alltag für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu entscheiden: Dort hält der Bus, dort kann man auf einer Sitzbank als Fußgänger verschnaufen, dort können in kleinen Fahrradparkstationen sichere Radparkplätze genutzt werden, dort kann man sein elektronisch gebuchtes Carsharing-Auto ausleihen und dort steht ein Taxi bereit. Genau das unterstützt das Land NRW und genau das schlägt auch die Bürgerinitiative „Mobiler Ölberg“ vor. Ein wegweisendes attraktives Angebot für die alltäglichen Wege: Flexibel, aber eben im Umweltverbund — und nicht mit dem Auto. In Bremen, Dortmund und Hamburg gibt es solche Mobilstationen. Für Wuppertal wird gerade ein erstes Modellprojekt am Schusterplatz vorbereitet.

Damit das Leitbild einer nachhaltigen Mobilität Wirklichkeit werden kann, müssen Städte, Unternehmen und auch die Bundespolitik die Weichen richtig stellen — koordiniert, mit weitem Blick und klarer Haltung. Die Verkehrsforschung geht dabei von der Strategie der „Drei V“ aus: Vermeiden — Verlagern — Verbessern. Eine vorausschauende Stadtplanung sorgt dafür, dass die täglichen Dinge möglichst im eigenen Quartier erledigt werden können. Geschäfte, Schulen, Ämter und Arbeitsplätze in der Nähe machen kurze Wege möglich und vermeiden dadurch Verkehr.

Gastbeitrag

In Wuppertal beispielsweise engagieren sich die Qualitätsoffensive Innenstadt Elberfeld und mehrere Händlergemeinschaften, in der Elberfelder Friedrich-Ebert-Straße oder der Poststraße sowie in Barmen-Werth für die Stärkung des lokalen Einzelhandels. Dies trägt auch dazu bei, den Verkehr auf umweltgerechtere Verkehrsmittel zu verlagern - vom Auto auf das Rad oder auf den öffentlichen Verkehr. Hierfür ist jedoch noch mehr notwendig: Es braucht Anreize, wie etwa ein gut ausgebautes und sicheres Radwegenetz, eng getaktete und zuverlässige Fahrpläne für Bus und Bahn sowie günstige Tickets. Rad, Bus und Bahn sowie Carsharing sollen attraktiver werden. Zugleich muss das Auto seine bisherigen Vorrechte räumen: Fast der ganze Straßenraum steht dem Auto bislang zur Verfügung, die Ampelschaltungen gehorchen dem Autoverkehrsfluss, und das Tempo 50 in Städten ist auf das Auto ausgelegt. Wenn Alternativen zum Auto aber gefördert und ausgebaut werden, dann können Verkehrsteilnehmende auch eher einsehen, wenn Parkplätze oder Fahrspuren verringert werden und die Preise fürs Parken steigen.

Einschränkungen für den Autoverkehr führen zu Diskussionen — auch in Wuppertal: Dort wird über Umweltspuren auf der B7, die Bussen, Fahrrädern und Taxis vorbehalten sind, debattiert. Dabei würden Fahrbahnen wegfallen, die zuvor dem Autoverkehr vorbehalten waren. Der vorhandene Straßenraum wird umverteilt. Das zeigt den klaren Kurswechsel in der kommunalen Verkehrspolitik. In Berlin, Münster, Trier oder Ulm ist dieser Kurswechsel hin zur Umweltspur schon lange durchgestanden — mit Erfolg!

Schließlich gilt es, die Fahrzeuge auch technisch zu verbessern: Auch in einem neuen Verkehrssystem wird es noch Autos geben. Nur sind diese sauberer und leiser als heute - als verbrauchsarme Verbrenner, als Hybrid-, Elektro- oder Wasserstofffahrzeuge. Das erfordert eine „Abrüstung“: weg vom SUV, hin zu Leichtbaufahrzeugen. Die benötigen viel weniger Energie, weil sie kleiner, leichter und langsamer sind.

Neue Fahrzeuge braucht übrigens auch der ÖPNV: Deshalb ist es der richtige Weg, wenn die Solinger Verkehrsbetriebe aktuell im großen Stil den neuen batterie-elektrischen Oberleitungsbus (BOB) erproben oder ein vielversprechender Ansatz, wenn die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) jetzt in die innovativen Brennstoffzellenbusse einsteigen. Bei dieser Technik entsteht als Abgas nur noch harmloser Wasserdampf.

Um diese Verkehrswende umzusetzen, braucht es eine klare Haltung, politischen Mut und einen langen Atem. In unserer Stadt heißt das: mehr Wuppertal wagen! Es ist jetzt höchste Zeit, in den Wandel einzusteigen. Dabei gilt es, die Bedürfnisse und Ideen der Bürgerinnen und Bürger aufzunehmen und sie am Prozess der Umgestaltung zu beteiligen, beginnend in den Stadtvierteln.

Für die Verkehrswende skizziert unser Leitbild „Autofreie Innenstadt Wuppertal Elberfeld“ (www.wupperinst.org) eine große Idee: Die Innenstadt von Wuppertal-Elberfeld, rund 4,5 Quadratkilometer, könnte im kommenden Jahrzehnt konsequent und Schritt für Schritt zu einem autoverkehrsfreien Stadtteil werden. Wuppertal-Elberfeld würde damit der erste Stadtteil in Deutschland, der systematisch von einem Autostadtteil heute zu einem zukünftig autoverkehrsfreien Stadtquartier umgestaltet wird. Von dieser autofreien Innenstadt profitieren die Menschen, die Umwelt und die Stadt Wuppertal. Hier kann man die „Verkehrswende Wuppertal“ konkret erleben und Urbanität genießen.