Ausbildung Bergauf und bergab mit dem Rollstuhl über die Bühne

Seit Oktober besuchen drei junge Frauen das inklusive Schauspielstudio. Intensive Text- und Körperarbeit sind wichtige Themen des Unterrichts.

Werden zu Schauspielerinnen ausgebildet: (v.r.): Flora Li, Yulia Yanez Schmidt und Aline Blum.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Auf den ersten Blick ist alles unspektakulär. Ein karger hoher Raum im Opernhaus: schwarze Wände, ein paar Stellwände, ein Tisch mit Stühlen, zwei Scheinwerfer. Zwei junge Frauen proben den Dialog von Antigone und Ismene aus der griechischen Tragödie „Antigone“. Textsicher, konzentriert, betont. Wie man es von Schauspielerinnen erwartet. Die körperlichen Beeinträchtigungen beider spielen keine Rolle. Und doch waren sie, neben Talent und Textinteresse, wichtig für den Weg, der die Frauen in den Probebühnenraum führte. Flora Li und Yulia Yanez Schmidt sind Mitglieder des inklusiven Schauspielstudios Wuppertal, das es erst seit dieser Spielzeit gibt.

Nach dem Abitur wurde Thomas Braus zunächst Heilerziehungspfleger, das ist lange her. Heute ist er 53 Jahre alt und Intendant des Wuppertaler Schauspiels. Die Idee der Teilhabe aber blieb lebendig, erhielt durch die in diesem Jahr zugesprochene Landesförderung frischen Wind. Zusammen mit der Glanzstoffakademie bildet das Schauspiel nun über drei Jahre lang Menschen mit Handikap zu professionellen Schauspielern heran. Allgemeine Bühnenreife heißt das Ziel, unterrichtet werden Bewegung und Tanz (Anna Wehsarg), Sprecherziehung (Dörte Bald), Stimmbildung (Annika Boos) und natürlich Schauspiel (Braus, Julia Meier, Bardia Rousta). Einziges Manko: Ein Abschlusszeugnis gibt es (leider) nicht.„Jeder Mensch ist in der Lage, auf der Bühne zu stehen, aber er braucht eine professionelle Ausbildung“, heißt das Credo von Braus. Zugleich eröffne der Beruf des Schauspielers behinderten Menschen neue Ausdrucksmöglichkeiten.

 Vier Plätze hatte das Schauspielstudio zu vergeben. Einen erwarb sich Flora Li. Die 21-Jährige sitzt im Rollstuhl und stand mit diesem schon mehrere Male bei Aufführungen des Glanzstoffstudios (Hauptrolle in „Der kleine schwarze Fisch“) auf der Bühne. Die liebt sie schon deswegen, weil sie dort ihr Handikap vergisst. Seit 15. Oktober kommt sie fast täglich zur Oper oder Musikhochschule, das neue Leben mache Spaß, auch wenn es Hürden bereithalte und sie sich erst an die intensive Textarbeit gewöhnen muss. Glanzstoff-Erfahrung bringt auch die 24-jährige Aline Blum mit. Sie musste sich an die längeren Tage und schwereren Texte gewöhnen, die es zu erschließen gilt.

Ab Januar wird Borcherts „Draußen vor der Tür“ einstudiert

Dritte im Bunde ist die Kölnerin Yulia Yanez Schmidt, die gerade den Master in Medienkulturwissenschaft abgeschlossen hatte, als sie zufällig bei Facebook die Ausschreibung entdeckte. Und beschloss, „das jetzt auszuprobieren“. Auch ihr haben die ersten Wochen gezeigt, dass sie bisher offenbar falsch gesprochen hatte, falsch gegangen war. Da sei die vorher kaum wahrgenommene Zunge plötzlich im Weg, werde der Weg über die Bühne von rechts nach links zum spannenden Abenteuer. Das gelte auch für den „Gang“ mit dem Rollstuhl, ergänzt Flora Li, wenn sie ausdrücken soll, dass die Strecke bergauf oder bergab führt. Da trifft es sich gut, dass sich alle gut verstehen, und in Sabrina Kaminski eine aufmerksame Betreuerin zur Seite steht, die auf die besonderen Bedürfnisse der Studiomitglieder eingeht, auch mal darauf achtet, dass der Stundenplan eingehalten wird. Der Vierte im Bunde, ein syrischer Flüchtling, ist ausgeschieden. Aus organisatorischen Gründen, sagt Thomas Braus bedauernd.

Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ ist legendär, sorgte in den 60er Jahren für Aufsehen. „Scheiß-freundlich“, dann aggressiv und schließlich echt freundlich sollen die Schauspielschülerinnen sprechen, Betonungen und Atmung richtig setzen und hin und wieder zum Zuschauer blicken. Braus fordert immer weitere Wiederholungen ein. Während Yulia Yanez Schmidt, Flora Li und Aline Blum bei dem reinen Sprechstück sitzen bleiben dürfen, spielt bei den meisten Stücken der körperliche Ausdruck eine wichtige Rolle, sagt Braus. Wie beim normalen Schauspielunterricht eben.

Im Januar beginnen dann die Proben für Borcherts „Draußen vor der Tür“ unter Leitung von Bardia Rousta. Der künstlerische Leiter der Glanzstoff Akademie ist auch leitender Dozent des Schauspielstudios, erarbeitet das Stück zusammen mit Schauspielschülern aus Köln und Mitgliedern des Ensembles. Ganz im Sinne von Inklusion und Zusammenkommen, so Braus. Und deshalb steht das Stück auch auf dem Spielplan des Schauspiels. Am 6. März ist Premiere im Theater am Engelsgarten. Zuvor aber feilt er mit den drei jungen Frauen an „Antigone“ und anderen Texten.