Aufführung Else Lasker-Schüler und „Mein Herz“ in der Citykirche
Martina Gedeck rezitierte Texte der gebürtigen Elberfelderin. Avi Avital und David Adrojàn sorgten für Musikgenuss.
Der erste Satz ist eine Hommage an die Stadt. An die Stadt, in der die große Künstlerin vor 150 Jahren geboren wurde, Heimat der Heimatlosen: „Ich bin in Elberfeld geboren“, sagt Martina Gedeck alias Else Lasker-Schüler, wandelt dabei deren niedergeschriebene Sätze leicht ab. Große literarische und musikalische Vortragskunst erlebte die ausverkaufte Citykirche am Mittwochabend. Ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr zu Ehren der 1945 gestorbenen Künstlerin, der diese und deren Zeit lebendig werden ließ. Das Publikum folgte mit großer Aufmerksamkeit und dankte mit ebenso großem Applaus und Bravorufen.
„Mein Herz“ - Aufbruch in die Moderne“ heißt das etwa anderthalbstündige Programm, mit dem die bekannte Schauspielerin Martina Gedeck und die exzellenten Musiker Avi Avital (Mandoline) und David Adorjàn (Violoncello) unterwegs sind, gerne der Anfrage des Wuppertaler Kulturbüros folgten. Verantwortlich zeichnet auch der Musicalautor und Regisseur Stephan Barbarino der an diesem Abend in der ersten Reihe der Aufführung beiwohnt. Ein Programm, das Lasker-Schülers avantgardistischen Briefroman in zeitgenössische Musik bettet, die nicht Beiwerk ist, sondern, sorgsam ausgewählt einerseits eigenständig wirkt und andererseits die Stimmungen der Texte aufgreift und wie ein Echo verstärkt. Stücke von Kodàly, Widmann, Ravel, Glière, Schulhoff, Bartók, Henze und Bloch spielen der renommierte Mandolinist Avital und der Solo-Cellist des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Adorján, zeigen höchste Fertigkeit und ein fein abgestimmtes, umsichtiges Zusammenspiel. Solopartien ergänzen den virtuosen Musikgenuss auf höchstem Niveau.
Höchste Vortragskunst zum
Ende des Jubiläumsjahres
Die dunklen Augen funkeln, der Blick geht in die Ferne. Martina Gedeck trägt eine mit schwarzem Tüll ummantelte Pluderhose aus rotem Taft, gehalten von einer glitzernden Schnalle in der Mitte der Taille. Reminiszenz an Lasker-Schülers orientalische Phantasien, ihren Prinz Jussuf von Theben oder ihre Tino von Bagdad. Auch die Texte, die sie immer wieder auswendig rezitiert, mit den Händen unterstreicht, schweifen immer wieder in den Orient ab. Gedecks Else ist selbstbewusst, liebend, ängstlich, träumerisch, verliebt, nachdenklich, witzig und verzweifelt. So wie diese war. Gedeck lässt ihre Texte blau und golden leuchten.
Mit ihrem ersten Mann, dem Arzt Bertold Lasker, war Lasker-Schüler 1894 nach Berlin gezogen, hatte die Enge der bürgerlichen Gesellschaft hinter sich gelassen. Früh verließ sie ihren Mann und ging eine Beziehung mit dem Schriftsteller und Verleger Georg Lewin ein, dem sie das Pseudonym Herwarth Walden gab und in dessen Kunstzeitschrift „Sturm“ sie mitarbeitete. Auch diese Beziehung scheiterte, 1910 folgte die Trennung. Zwar hatte sie schon einige Werke veröffentlicht, war aber ohne eigenes Einkommen und auf die Unterstützung durch Freunde angewiesen. Ihr Roman „Mein Herz“ erschien im Jahr der Scheidung 1912, er enthält über hundert Briefe an Herwarth, in denen sie sich offen und sprachgewaltig mit der Beziehung zu ihm auseinandersetzt, zugleich freimütig über ihre Liebhaber, den Schriftsteller Karl Kraus (der “Bischof“) und Dichter Gottfried Benn (“Minn“) erzählt. Texte, die unter der Rubrik „Briefe nach Norwegen“ in „Der Sturm“ vorabgedruckt wurden und der Berliner Männerwelt die Stirn boten.
Gedeck trägt aus diesen Briefen vor, die die Liebe ebenso ansprechen wie den Schnupfen, den Zeppelin am Himmel wie die Sehnsucht nach der Kindheit. Verwebt sie mit ihren Gedichten, zieht magisch in Lasker-Schülers Gedankenwelt und Poesie hinein. Kleine Versprecher stören nicht, das Publikum folgt gebannt und ahnt zum Ende des Jubiläumsjahres noch einmal, welch wegweisende Künstlerin und tragische Person Elberfelds Tocher war.