Ein scharfer Blick auf die inneren Geister
Tic-Theater beweist mit dem massiv gekürzten „Faust“ Mut zur Lücke. Ensemble reißt mit schauspielerischer Qualität mit.
Den Faust I zu inszenieren, diesen Mount Everest der Theaterliteratur besteigen zu dürfen, ist Herausforderung und Glückseligkeit zugleich, birgt aber Gefahren. Auf welche Bedeutungsschicht legt man den Fokus, was darf man weglassen, was sollte man verändern, welche Fassung ist den Gegebenheiten des Theaters und dem Publikum zumutbar?
Das Tic-Theater hat sich entschieden und mit der Inszenierung von Ralf Budde viel Mut zur Lücke bewiesen. Doch der massiv gekürzte Faust kann durch einen scharfen Blick auf die inneren Geister und Dämonen der Figuren durchaus mitreißen. Perfekt umgesetzt durch das gesamte Ensemble, das durchweg hohe schauspielerische Qualität lieferte. Das erzeugt dichte, soghafte Stimmungen.
Dazu trägt auch das stimmig - indes minimalistisch - gestaltete Bühnenbild durch Jan Bauerdick bei. Dialoge - vor allem aber auch Monologe - werden großzügig verdichtet, dabei bleibt zwar der Handlungsstrang immer präsent, geht auch so manches Detail verloren. Wo sind die Himmelskräfte, der berühmte Drudenfuß? Geisterstimmen fehlen, wie die Walpurgisnacht.
Wenngleich es durchaus schaurig werden kann. So etwa in der Hexenküche, wo Faust von Horror-Krankenschwestern in einen galanten Lebemann umgestaltet wird. Oder in der Brunnenszene, in dem Gretchen - Luisa Herget - von drei Alter-Egos geisterhaft bedrängt wird. Spinnrad? Fehlt - gelingen indes überdeutliche Bilder von Margaretes Psyche.
mmer und überall stehen die persönlichen Motive der Protagonisten im Mittelpunkt. Gönnt man dem Publikum auch romantischen Theaterzauber, etwa mit den liebevollen Kostümen - herrlich Margaretes Kleid - von Noëlle-Magali Wörheide, oder mit der sich über das Drama legenden Musik - Rachmaninows „Corelli-Variationen“.
Doch im Endeffekt, schon etwas entzaubert, vom alchemistisch-magischen Nebel befreit, wirkt dieser Zugang. Dies alles mag nicht verwundern, wenn man sich diesen Mephisto in seinem Business-Anzug anschaut - herrlich subtil gespielt von Christof Heußel. Ganz wie ein schmieriger Versicherungsvertreter bahnt er sich seinen Weg in die Seele des jammervollen Faust (absolut überzeugend: Robert Cramer). Der wütet in seinem karierten Schlafanzug, schmeißt mit Büchern und Blättern um sich. Cramer genießt das Spiel mit Goethes Worten. Ohnehin wirkt die Sprache des Dramas durchweg frisch - zum Glück nicht überzeichnet. Nebenrollen sind das Salz in der Suppe eines jeden Theaters: Christopher Geiß (Wagner und Valentin), Mirca Szigat (Marthe), Theresa Achilles, Judith Jaskulla und Yasmin Peken konnten in jedem Moment das Publikum in ihren Bann ziehen.
“ Weitere Vorstellungen : Freitag, 8. Dezember, 20 Uhr, Freitag, 15. Dezember, 20 Uhr, Samstag, 16. Dezember, 20 Uhr.
tic-theater.de