Else Lasker-Schüler Else Lasker-Schüler – die Jüdin

2019 wäre Wuppertals berühmte Tochter 150 Jahre alt geworden. Die WZ widmet ihr eine Serie.

Die Zeichnungen zeugen vom Judentum der Dichterin Else Lasker-Schüler. Rechte: Else Lasker-Schüler-Gesellschaft

Foto: elsg/else lasker schüler gesellschaft

Sie war deutsche Jüdin, ihr Lebensweg unstetig, ihr Verhalten exzentrisch. Doch bei Else Lasker-Schüler sind nicht nur Leben und Werk eng verwoben. Von Bedeutung sind auch die Einflüsse ihrer Religion. Dabei lehnt sie Dogmatismus ab, nimmt neben dem mystischen Judentum auch Elemente christlicher und muslimischer Traditionen auf.

Im Elternhaus feierte man „Weihnukka“, ein Mix aus jüdischem Lichterfest Chanukka und christlicher Weihnacht. Seit ihrer Kindheit hielt Else Lasker-Schüler an jüdischen Traditionen fest und „macht sich phantastische Vorstellungen von Jerusalem“ (so ihre Biografin Margarete Kupper). Vielleicht weil sie hier schon als Kind Antisemitismus kennenlernt: Die fantasievolle Elisabeth reagiert mit dem „Veitstanz“. Mit der Schule ist es vorbei: „Mit elf Jahren wurde ich gelinde aus der Schule genommen… Einmal beim Unterricht lag eine Riesenschlange auf dem Boden des Zimmers, darin ich ochsen mußte. Natürlich handelte es sich um einen Racheakt, denn ich hatte einem kleinen Spielgefährten im Räuber- und Gendarmspiel in der Erregung die Nase abgebissen. Seitdem habe ich eine Aversion gegen Schleicherei. Darum entschloß ich mich, als ich 16 Jahre alt war, eine Marderart zu heiraten, die die Schlangen zu töten pflegt...“

Hinter der Verschlüsselung schlummern Erfahrungen. Als längst anerkannte Dichterin, die ihr Mentor Peter Hille den „schwarzen Schwan Israels“ nennt, erlebt sie antisemitische Angriffe in der rechten Presse. Sie reagiert mit Worten: „Der Antisemitismus, eine Eigenschaft, die man erbt. Ein Unvermögen, an dem der Erbende - verarmt… Ach, wie oft hörte ich mit dem Ranzen auf dem Rücken noch 8 jährig zur Schule gehend, aus höhnisch verzerrten Straßenkindern, Jud, Jud, Jud, hast Speck gefressen, spuck ut spuck ut!“

Ihre Religiosität vertieft sich nach dem frühen Tod ihres Sohnes Paul: „Ich habe immer vor dem Rauschen meines Herzens gelegen, / Nie den Morgen gesehen. / Nie Gott gesucht. / Nun aber wandle ich um meines Kindes / goldgelichtete Glieder und suche Gott.“

Trost sucht sie in der jüdischen Mystik. Ihre Spiritualität ist transkonfessionell und Bekenntnis zur Versöhnung zwischen Juden und Christen, Juden und Arabern. Zugleich bleibt sie ihren Glaubensgenossen gegenüber kritisch eingestellt. Der politische Zionismus bleibt ihr fremd. Wie stark sie sich dennoch zum Judentum bekennt, zeigt ihr Gedicht „Mein Volk“: Der Fels wird morsch, / Dem ich entspringe / Und meine Gotteslieder singe.

„Gestatten, Jude. Jetzt reden wir mal deutsch miteinander“. So hatte sich Else Lasker-Schüler in Berlin bei privaten Gastgebern vorgestellt, deren Antisemitismus bekannt war. Doch dieses Selbstbewusstsein täuscht: „Der Mensch, das sonderbare Wesen: Mit den Füßen im Schlamm, mit dem Kopf in den Sternen.“ Ihre Sehnsucht nach dem Land der Väter wächst, als sie das Gefühl hat, in Deutschland heimatlos zu sein. In der jüdischen Kabbala findet sie Bestätigung. In ihren Werken verarbeitet sie ihre Sehnsucht nach Versöhnung wie im Drama „Arthur Aronymus und seine Väter“. Hier deutet sie jedoch auch vor 1933 bereits hellsichtig die Judenverfolgung an: „Unsere Töchter wird man verbrennen auf Scheiterhaufen...“

„Arthur Aronymus“ ist zugleich Heimatbekenntnis, wenn auch ein bitteres: „Wie heute brannten die Tannenbäume hinter den Scheiben der geistlichen Hauptstadt Westfalens, als sich das blutige Pogrom abspielte. Unschuldig vergossenes Judenblut klagte über die Grenzen des Heimatlandes … und pochte an die Judenherzen anderer Reiche; im unheimlichen Echo an die Erdteile der Welt. An den ge­schmückten Zweigen der hohen Tannenbäume im Rathaussaa­le, in der Aula der Schulen, hatte man kleine Judenkinder wie Konfekt aufgehängt. Zarte Händchen und blutbespritzte Füßchen lagen, verfallenes und totes Laub auf den Gassen des Ghettos umher, wo man den damaligen Juden gestattete, sich niederzulassen. Entblößte Körper, sie eindringlicher misshan­deln zu können, bluteten zerrissen auf Splittern der Fenster­gläser gespießt, unbeachtet unter kaltem Himmel.“