Else Lasker-Schüler Else Lasker-Schüler - die Liebe und die Männer
2019 wäre Wuppertals berühmte Tochter 150 Jahre alt geworden. Die WZ widmet ihr eine Serie.
„Sie ist jung, sie ist cool, sie ist Trend! Und das, obwohl sie vor einer gefühlten Ewigkeit gelebt hat. Sie ließ sich nichts von ihren Eltern, spießigen Kaufleuten, oder den Männern sagen. Neben ihrer Ehe hatte sie Affären mit vielen Künstlern und Schriftstellern: Sie spielte mit den Männern. Das ist wahre Emanzipation, oder? Von einem rassigen Südländer, von dem sie nicht einmal den Namen verriet, bekam sie einen Sohn, nicht vom langweiligen Ehemann. Diese Frau machte Skandale über Skandale! Ihre Liebesgedichte sind geil, andere Gedichte sind ein bisschen schwer zu verstehen, manchmal ergeben sie gar keinen richtigen Sinn. Aber das zählt auch nicht. Wenn du bei deinen Freunden echten Eindruck schinden willst, denke dir eine tiefere Bedeutung aus und sage immer: Das ist so wahr, so wahr!“
Was die Hamburger Gymnasiastin Ina Meenen 2003 für ihren Deutsch-Leistungskurs schrieb, ist so „wahr“ wie Else Lasker-Schülers Behauptung, ihr Sohn Paul sei das Kind des spanischen Prinzen Alcibiades de Rouan. Berthold Lasker hat ihr einziges Kind 1899 als Sohn anerkannt. Mit dem Arzt war sie seit 1894 verheiratet. Da war sie bereits 25 Jahre alt und für damalige Verhältnisse ein „spätes Mädchen“.
Die Ehe dürfte vermutlich weniger Liebe als Flucht gewesen sein – raus aus dem längst zu eng gewordenen Wuppertal. In Berlin lebten sie schon bald innerlich und äußerlich getrennt. 1903 wird die Ehe geschieden und eine neue eingegangen mit Herwarth Walden, von dem sie sich 1910 trennt und 1912 scheiden lässt. In dieser Zeit begegnet sie Gottfried Benn, ihrem angeblich „geliebtesten Geliebten“ (Helma Sanders-Brahms).
Else Lasker-Schüler, längst anerkannte Poetin, ist beeindruckt von seinem ersten Lyrikband „Morgue“. Sie dichten sich gegenseitig an – ein poetisches Pingpongspiel, eindrucksvoll noch hundert Jahre später: „Aber wisse: / Ich lebe Tiertage. Ich bin eine Wasserstunde. / Des Abends schläfert mein Lied wie Wald und Himmel. / Meine Liebe weiß nur wenige Worte:/ Es ist so schön an deinem Blut“, heißt es bei ihm. Und sie tönt: „Ich kann nicht mehr sein / Ohne das Skalpspiel. / Rote Küsse malen deine Messer / auf meine Brust / Bis mein Haar an deinem Gürtel flattert.“
Dem Unglücklichsein verdanken wir schönste Liebesgedichte
Auch diese Beziehung endet bald. Ob sie mehr als platonisch-erotisch war, darüber scheiden sich die Experten. Legenden ranken sich um Else Lasker-Schülers Verliebtheiten, die alle unglücklich verliefen. Doch diesem Unglücklichsein verdanken wir Normalsterblichen Liebesgedichte, die zu den schönsten deutscher Sprache zählen: „Du! wir wollen uns tief küssen / Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, /An der wir sterben müssen“, heißt es in „Weltende“, das Herwarth Walden im „Sturm“ ebenso veröffentlichte wie jenes Gedicht, das für Karl Kraus „zu den entzückendsten und ergreifendsten (gehört), die ich je gelesen habe, und wenige von Goethe abwärts gibt es, in denen so wie in diesem Tibetteppich Sinn und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele verwoben sind. Dass ich für diese neunzeilige Kostbarkeit den ganzen Heine hergebe, möchte ich nicht sagen. Weil ich ihn nämlich, wie man hoffentlich jetzt schon weiß, viel billiger hergebe.“
Ein alter Tibetteppich
Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet. Strahl in Strahl, verliebte Farben, Sterne, die sich himmellang umwarben. Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit, Maschentausendabertausendweit. Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron, Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?
So viel Herz strömt über noch dann, wenn sie seit ihrem 70. Lebensjahr in Palästina lebt. Dort träumt sie am Ende ihres Lebens einen letzten Liebestraum: mit noch einmal bedeutsamen Gedichten (im „Blauen Klavier“). Trotz Bitterkeit und Seelenqual, trotz Traurigkeit und Einsamkeit ist es wieder Leidenschaft, die sie zu dem drei Jahrzehnte jüngeren, noch dazu verheirateten Wissenschaftler Ernst Simon empfindet:
„Ich möcht’ einen Herzallerliebsten haben, und mich in seinem Fleisch vergraben.“