Freies Netzwerk Kultur Stau auf der Ereignisautobahn

Weil das letzte Jahr sozusagen weltweit schockgefrostet wurde, gibt es da jetzt so etwas wie einen Stau auf der Ereignisautobahn der ganz besonderen Jubiläen. Der längste Stau in NRW – und das mitten in Wuppertal.

Tine Lowisch vom Freien Netzwerk Kultur.

Foto: CLAUDIA SCHEER VAN ERP

Ja, ich gebe zu, auch ich liebe besondere Anlässe. Ich liebe sie, weil es ganz klar zu benennende Ereignisse sind, die unser Verhalten erklären oder sogar herbeiführen können. Diese einzigartigen Beweggründe können sowohl in verlässlicher Folge wiederkehren wie Geburtstage als auch einmalig in Erscheinung treten wie zum Beispiel runde Geburtstage.

Überhaupt sind runde Geburtstage doch wirklich ganz wunderbare Impulsgeber und Anknüpfungspunkte, um mit komplexen Sachverhalten lustvoll umzugehen. Oder sich überhaupt einmal neu mit dem Leben einer Person oder dem Wirken eines singulären Ereignisses angemessen zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Und weil das letzte Jahr aus bekannten Gründen sozusagen weltweit schockgefrostet wurde, gibt es da jetzt so etwas wie einen Stau auf der Ereignisautobahn der ganz besonderen Jubiläen. Der längste Stau in NRW – und das mitten in Wuppertal.

Das Friedrich Engels-Jahr wurde offiziell verlängert und so feiern wir zu Recht den 200. Geburtstag des wichtigsten Sohns unserer Stadt einfach weiter, mitten im auf allen Kanälen beworbenen und so auf vollen Touren laufenden Joseph Beuys-Jahr, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre.

Auch wenn ich es fast schon verstörend beeindruckend finde, wie der Beuys es schafft, in allen Feuilletons so umfangreich besprochen zu werden, während wir unseren Jungen Friedrich Engels am liebsten wieder in die Mottenkiste packen würden, glaube ich: Wir schaffen beide. Denn letztendlich wollten beide das Gleiche: Engels und Beuys stehen für den Willen zur Veränderung und die Überwindung von Missständen.  Unseren Friedrich Engels als Thema nun einfach wieder am Geburtsort seines Denkens zu vergessen, wäre dem Universalgelehrten aus Barmen nun wirklich etwas ungehörig gegenüber und würde seinem Ansehen meiner Einschätzung nach auch schaden.

Zum Glück steht die offizielle Engels2020-Skulptur noch, wie ein Relikt, zentral im Atriumgarten, an unserem neuen Zukunftsort im Pina Bausch Zentrum. Sie kam dorthin im Rahmen des Festivals „under construction“. Das Engels-Spezial, das Happening unter dem Arbeitstitel „Happy Birthday Friedrich“ war tatsächlich der einzige offizielle Engels2020 Event an Friedrich Engels’ 200. Geburtstag am 28. November 2020 in seiner Geburtsstadt. Die Aktion war eine beeindruckende und doch wunderbar unaufgeregte Performance, inklusive Geburtstagsständchen, das von der Pina Bausch Tänzerin Julie Anne Stanzak im Duett mit dem verantwortlichen Festival-Leiter Marc Wagenbach  sehr charmant vorgetragen wurde.

Auch die lebensgroße Marmorplastik aus 56 Marmortafeln, die im Engels Jahr schon Station im Skulpturenpark Waldfrieden gemacht hatte und danach auf dem Schulhof des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums, trug Eckehard Lowisch, Tafel für Tafel, eigenhändig, sozusagen wie ein spielendes Kind, mit viel Willensstärke vor - mit viel Zeit, Präsenz und Geduld, um künstlerische Praxis als Arbeit mit Arbeit als Ausdruck menschlichen Handelns in Einklang zu bringen.

Was ich mich rückblickend  frage: Warum wird die bewusste bildhauerische Entscheidung, ein Kind auf einen Sockel zu stellen, in Zeiten wie diesen, in Zeiten von Fridays for Future, mitten in der aktuell geführten Denkmalsturz-Debatte von so manchem eigentlich als zu radikal empfunden? Das finde ich spannend. Da fehlt jetzt wohl nur noch der von den Kuratoren des Engels2020 Jahres in Aussicht gestellte Diskurs. So vieles muss in diesen verrückten Zeiten warten. Bis dahin, denke ich, machen wir einfach weiter. Denn die Kunst muss weiter gehen.