Interview Konstantin Wecker: „Mein Hauptberuf ist Beifahrer“
Konstantin Wecker über mangelnde Altersmilde, Lebenslust und seine Lieder: „Ich muss warten, bis die Texte bei mir anklopfen.“
Wie kommt es, dass Sie aktuell in kleiner Besetzung auftreten?
Konstantin Wecker: Wir sind zur Abwechslung kammermusikalisch unterwegs mit zwei Flügeln und einem Cello - etwas stiller, melodischer, poetischer nach einem ziemlich rockigen Jahr mit der Band.
Mit neuen Songs?
Wecker: Sie wirken neu, weil die Menschen sie so lange nicht gehört haben.
Wie schreiben Sie Ihre Texte?
Wecker: Sie finden mich. Ich nehme mir nie Themen vor. Stattdessen muss ich immer warten, bis die Texte bei mir anklopfen - dann sind sie aber auch da. Beim letzten Album „Ohne Warum“ habe ich alle Texte in drei Tagen geschrieben. Das Schöne ist, dass ich mich so auch selber besser kennen lerne.
Wie geht das denn?
Wecker: Ich habe 2001 ein Lied über die Schwermut geschrieben. Erst danach fiel mir auf, dass ich immer ein schwermütiger Mensch war, das aber nie wahrhaben wollte.
Brauchen Sie zum Schreiben einen Rückzugsraum?
Wecker: Fast alles, was ich in den vergangenen 30 Jahren geschrieben habe, ist in dem Haus in der Toscana entstanden. Dort lebe ich in der Einsamkeit. In Deutschland darf ich zwar am Abend drei Stunden Musik machen. Aber fünf Stunden am Tag sitze ich im Auto - mein Hauptberuf ist Beifahrer. Und seitdem der Dobrindt die Republik verstaut hat, nehmen die Fahrten manchmal kaum ein Ende.
Stimmt es, dass der echte Willi noch lebt und nicht wie im Lied von Nazis erschlagen worden ist?
Wecker: Na ja, sie haben ihn schon ziemlich abgestochen, aber er hat es überlebt. Willi heißt eigentlich Günther und gehört zu meinen ältesten Freunden. Er ist nach wir vor mit auf Tournee, macht das Merchandising und fährt mich.
Seit Jahrzehnten setzten Sie sich mit Leidenschaft für eine gerechtere Welt ein. Erschöpft sich ihr Zorn nicht?
Wecker: Früher habe ich mal gedacht, man müsste sich nur zu einem liebenden und egofreien Menschen entwickeln, dann liefe alles besser. Aber ohne Wut würden wir nichts verändern, auch nicht bei uns. Gerade in unseren Zeiten ist die Wut notwendig. Man muss doch die Gesellschaft aufrütteln und dafür sorgen, das wir nicht in ein rechtsradikales System abdriften. Sonst sind wir hier bald alle orbanisiert. Und es packt einen dauernd: Die Menschheit kann doch nicht so blöd sein, sehenden Auges auf einen neuen Weltkrieg zuzusteuern. Es ist doch ein Irrsinn anzunehmen, durch noch mehr Waffenlieferungen könnte man Frieden erreichen.
Sie sind unglaublich produktiv, denn Sie schreiben ja nicht nur Lieder und geben Konzerte, sondern komponieren jede Menge Filmmusiken und Musicals. Wie bekommen sie das alles unter einen Hut?
Wecker: Es ist schon ein bisschen weniger geworden. Ich sage bei den Filmmusiken mehr ab, weil die Drehbücher immer schlechter werden. Bei Helmut Dietl war es noch so: Wenn er gesagt hat, so will er’s, dann blieb es auch so. Heute kommt drei Tage vor der Endabnahme ein Redakteur und meint: „In der achten Minute brauchen wir ein Schlagzeug, um die Zuschauer zu wecken.“
Sie werden im kommenden Jahr 70, aber das Wort altersmilde fällt mir bei Ihnen nicht ein.
Wecker: Ich hatte gehofft, dass ich das würde. Aber in meinem Leben ist es immer anders gekommen, als ich mir das vorgestellt habe - und das ist auch gut. In den 70er Jahren war ich ein zorniger junger Mann. Aber die gesellschaftliche Situation damals, gegen die wir protestiert haben, war doch paradiesisch gegenüber der heutigen. Die SPD war sozialdemokratisch, der Sozialstaat hatte seinen Namen noch verdient - wie kann ich da heute altersmilde sein?
Parallel zum Zorn wirken Sie wie ein Ausbund an Lebenslust.
Wecker: Die ist ja gekoppelt an die Todessehnsucht. Wer sich nicht des täglichen Sterbens bewusst ist, kann auch keine richtige Lebenslust spüren. Ich habe die Lebenslust oft übertrieben, dass sie zur Hülle und zur Sucht wurde. Wenn man sie zum Programm macht, scheitert man.
Können Sie Ihren Kindern Sinn für Poesie vermitteln?
Wecker: Der Kleine macht gerade in Sri Lanka ein soziales Jahr. Da habe ich ihn besucht, beim Essen haben wir über Hermann Hesse gesprochen, weil jemand aus dessen Geburtsort Calw dabei wahr. Und da hat Tamino gesagt: „Ach Papa, mit zwölf wolltest du mich schon mit Goethe erschlagen.“ Aber er bekommt alles unter einen Hut. Er liest Gedichte, hat Hip-Hop drauf, kann aber auch das Verdi-Requiem vorspielen.