WZ: Kannten Sie die Studie?
Interview mit Opernintendant Berthold Schneider Machtmissbrauch an Theatern: Gute Kunst nicht auf Kosten der Mitarbeiter
Wuppertal · Eine aktuelle Studie prangert strukturellen Machtmissbrauch an deutschen Theatern an. Ein Thema, das auch Wuppertals Opernintendant Berthold Schneider beschäftigt.
Die Studie spricht eine klare Sprache. An deutschen Theatern herrschen keine paradiesischen Zustände. Mitarbeiter werden gemobbt, missbraucht oder ausgebeutet. Strukturelle Gründe seien daran schuld, die die Intendanten und Regisseure in die Lage versetzen, ihre Macht zu missbrauchen. Thomas Schmidt, Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt am Main, hat die Studie erstellt, dazu knapp 2000 Theatermitarbeiter befragt. Wuppertals Opernintendant Berthold Schneider bestätigt die strukturelle Kritik, will Frauen im Theater fördern, findet aber auch kritische Worte zur Studie. Stimmige Reglements seien wichtig, aber kein Garant dafür, dass der Umgang funktioniere.
Berthold Schneider: Ja, aber ich hatte sie noch nicht gründlich gelesen.
WZ: Wie relevant ist die Studie?
Schneider: Ich halte sie für sehr wichtig, weil sie Missstände benennt und konkretisiert. Ich konnte aufgrund eigener Erfahrungen mit immerhin acht Intendantinnen und Intendanten vieles nachvollziehen. Und sie erscheint mir seriös und repräsentativ zu sein.
WZ: In der Studie wird das Intendantenmodell als strukturelles Problem verantwortlich gemacht.
Schneider: Es gibt unterschiedliche Intendantenmodelle, denen allen gemein ist, dass eine große Machtfülle in einer Person vereint wird. Ihre Kontrolle ist mehr oder weniger gut geregelt. Es wäre schon wichtig, wenn Intendant*innen mehr Rechenschaft ablegen müssten.
WZ: Was muss ein Intendant leisten?
Schneider: Eine Intendant*in muss den Spagat zwischen Kunst- und, Mitarbeiter-Notwendigkeiten sowie finanziellen Mitteln schaffen. Dabei stehen, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, Wünsche nach arbeitnehmerfreundlichen Arbeitszeiten oftmals Bedürfnissen der Kunst entgegen. Wer nicht beides ernst nimmt, sich etwa hinter dem Tarifvertrag verschanzt, wird der Aufgabe nicht gerecht.
WZ: Sind Kunst-Unternehmen einfach mit Wirtschafts-Unternehmen vergleichbar?
Schneider: Nein, da sehe ich auch eine Schwäche der Studie. Kunst zu erstellen ist etwas Anderes als ein Produkt zu erstellen. Wir wollen und müssen gute Kunst machen, aber es darf nicht sein, dass Mitarbeiter*innen darunter leiden. Hinzu kommt, dass Künstler in den aktuellen Entscheidungsstrukturen oftmals unterrepräsentiert sind, die Intendant*in oft allein die künstlerischen Belange bei entscheidenden Treffen vertritt. Aber wer – wie es Thomas Schmidt tut – bei einer Strukturdebatte über die Theater die Belange der Kunst ignoriert, kann nur einen eingeschränkten Beitrag zur Lösung der Probleme leisten.
WZ: Sollte der Intendant weniger Macht haben?
Schneider: Das Intendantenmodell basiert auf der Erkenntnis, dass die Produktion von Kunst eine künstlerische Vision zur Voraussetzung hat. Auch, damit das Publikum mitgerissen und die Mitarbeiter motiviert werden können. Das kann man natürlich auch als Team leben, aber eine Teamstruktur vorzuschreiben, fände ich falsch. Strukturelle Änderungen müssten auf jeden Fall den Kern des Unternehmens, die Kunst, im Blick behalten.
WZ: Die Studie kritisiert die Benachteiligung von Frauen.
Schneider: Mit Recht. Es ist wahnsinnig wichtig, mehr Frauen in Führungspositionen zu kriegen, das hilft, bestimmte Probleme zu verhindern, verändert die Umgangsformen, bricht verkrustete Strukturen auf. Allein die sexuellen Übergriffe von Frauen aus Macht heraus sind wesentlich seltener. Es passt auch einfach nicht, auf der Bühne Themen in größter aufklärerischer Haltung zu behandeln und sich Backstage anders zu verhalten. Zum Glück sind die brüllenden Regisseure seltener geworden. Die Sensibilisierung innerhalb der Theater wächst – auch durch eine neue Generation von Theaterleiter*innen, die in der freien Szene sozialisiert wurden, durch den höheren Anteil von Frauen und durch die öffentliche Diskussion. Übrigens fehlt mir in der Studie auch ein Kapitel über Machtmissbrauch durch Arbeitnehmervertreter, den ich auch erlebt habe.
WZ: Die Studie spricht von Mobbing.
Schneider: Gibt es. Dagegen hilft, an einer Atmosphäre zu arbeiten, in der allen die Grenzen klar sind, Strukturen so zu ändern, dass es schwieriger wird, sich aggressiv zu verhalten und Machtmissbrauch zu gewähren. Das hat auch nichts mit Kunstfreiheit zu tun.
WZ: Ein Problem ist die Bezahlung.
Schneider: Wir dringen da bei der Politik nicht durch, wenigstens die Tarifsteigerungen mitzumachen, geschweige denn angemessene Gagen zu zahlen. Ein Theater allein kann kaum etwas erreichen. Vereinigungen wie Ensemble-Netzwerk und Art but Fair haben viel dazu beigetragen, dass sich Umgangsformen in den Theatern verbessert haben und das Bewusstsein über die Unzulänglichkeit der Gagen an den Theatern gestärkt wurde.
WZ: Ein weiteres Thema sind die Arbeitszeiten.
Schneider: Ein heikles und komplexes Thema, weil beim Theater alles mit allem zusammenhängt. Man kann beispielsweise nicht mal eben Proben- oder Aufführungszeiten verschieben. Aber wir müssen unbedingt familienfreundlicher werden, wenn wir die Besten an das Theater binden wollen. Sicher müssen Künstler flexibel sein, wahrscheinlich auch in Zukunft öfter umziehen als andere, aber der Arbeitgeber muss das abfedern und auch den Familien eine Willkommenskultur bieten, die der Leistung, die die Künstler für die Gemeinschaft bringen, angemessen ist.
WZ: Was tun die Wuppertaler Bühnen?
Schneider: Wir arbeiten an der Familienfreundlichkeit – das beginnt zum Beispiel bei der Unterstützung beim Umzug, muss aber natürlich viel weiter gehen. Ein Traum wäre zum Beispiel eine Theaterkita. Wir arbeiten an einer Vertrauensstruktur mit Ansprechpartnern, damit jeder weiß, an wen er sich im Problemfall wenden kann. Wir führen viele Diskussionen bei personellen und Spielplan-Entscheidungen, die sich darum drehen, Frauen besser zu berücksichtigen.