Von der Heydt-Museum Neue Ausstellung beweist die Aktualität von Engels
Wuppertal · Die Ausstellung „Vision und Schrecken der Moderne - Industrie und künstlerischer Aufbruch“ unternimmt einen Streifzug durch 200 Jahre - und beweist die Aktualität von Engels.
Die ersten Tage waren vielversprechend: Das Haus war ausgebucht, soweit es die verschärften Zulassungsbedingungen mit Anmeldung und Zeitfenster sowie vergrößerten Abstände zuließen. „Es ist einfach wunderschön, dass wieder Besucher da sind, dafür werden die Ausstellungen gemacht“, freut sich Antje Birthälmer, stellvertretende Direktorin des Von der Heydt-Museums und, zusammen mit Beate Eickhoff und Anna Storm, Kuratorin der Ausstellung „Vision und Schrecken der Moderne - Industrie und künstlerischer Aufbruch“, die im November startete - vor ein paar Wochen erst virtuell und nun auch endlich in echt besucht werden kann.
Der Titel ist Programm, zeigt die Gegenpole der Industrialisierung auf, die sich zwischen Faszination und Abschreckung, Fortschritt und sozialem Abstieg bewegte, für deren Errungenschaften Mensch und Natur bezahlten. Und bezahlen. Thema auch von Friedrich Engels, dessen Geburtstag sich 2020 zum 200. Mal jährte und der schon im 19. Jahrhundert erkannte, dass die „Vision“ einer besseren Moderne erst dann entstehen könne, wenn der „Schrecken“ des ungezügelten Kapitalismus gebannt wäre. Die Ausstellungsdauer des Musuemsbeitrags zum Engelsjubiläumsjahr konnte glücklichweise verlängert werden (jetzt bis zum 11. Juli). Dabei kam zupass, dass der Schwerpunkt der über hundert gezeigten Gemälde, Grafiken, Skulpturen und Fotografien auf der eigenen Sammlung liegt und die Fristen der Leihgaben bislang verlängert werden konnten.
Die kunsthistorische Reise umfasst acht Räume im ersten Stock des Museums und startet in der Jugendzeit von Engels (Raum 1). Mit großbürgerlichen Porträtgemälden und Industriebildern, die die Mythologie bemühten, um die unvorstellbare Kraft der (Stahl-)Industrie zu erfassen (Heinrich Kley: Die Krupp’schen Teufel). Zugleich hielten erste Werke die Gegensätze fest, die damals in der Gesellschaft aufbrachen (Carl Wilhelm Hübner: „Die schlesischen Weber“). Die Künstler suchten Ausdrucksformen für „das massive Eingreifen der Industrie in Umwelt und Stadtlandschaft“, so Birthälmer, schufen Werke, die zwischen Zerstörung und Verehrung schwankten mit düsterer Stimmung und Schornsteinen, die wie Kirchtürme inszeniert wurden (Richard Gessner: „Stahlwerk“).
Auf die Dominanz der Technik in Raum 2 folgen drei Räume, die sich der Situation des Proletariats widmen. Den Anfang macht ein Kabinett mit Grafiken von Max Klinger und Käthe Kollwitz. Sein Zyklus Dramen hält das Elend der Frauen, aber auch das Aufbegehren der Menschen in den Märztagen in Berlin fest. Themen, die Kollwitz mit revolutionärer Haltung und Romanthemen von Emile Zola oder Gerhard Hauptmann verbindet. Ihre Zeichnungen ergreifen Partei, wollen etwas bewirken. Ihre gesellschaftskritische Haltung wird auch in ihrem Bauernzyklus deutlich (Raum 4). Zusammen mit Werken wie „Arbeiterinnen“ von Hans Baluschek, das malerisch eindrucksvoll einen Strom apathischer Frauengesichter zeigt, Heinrich Zilles Fotografien aus dem Arbeitermilieu Berlins oder Conrad Felixmüllers sozialkritischen Bildern.
Vision und Schrecken
liegen nah beieinander
Letzterer macht sich (Raum 5) nach Krieg, sozialen Unruhen und Blutbädern bewusst mit den Proletariern gemein, schließt sich der Kommunistischen Partei an, erzählt Birthälmer. Auf einer Reise ins Ruhrgebiet entstehen expressionistische Bilder, die den Industriearbeiter als Ausgebeuteten, aber auch als Hoffnungsträger darstellen. Der Erste Weltkrieg und seine neue zerstörerische Dimension fließen auch in Otto Dix’ Blätter vom Krieg ein. Die Künstler wollen den geschundenen Menschen helfen, legen die bald schon erstarkenden reaktionären Kräfte bloß (Georg Scholz: „Industriebauern“). Kunst werde zur Waffe, so Birthälmer (etwa bei John Heartfield).
Die mit der Formensprache des Konstruktivismus arbeitende Kunst der Kölner Progressiven wiederum geht einen Schritt weiter (Raum 6), zeigt die klassenlose Gesellschaft - erkennt resignierend, dass diese Hoffnung utopisch ist (Heinrich Hoerle: „Denkmal der unbekannten Prothesen“). Menschen kommen in der Industriefotografie gar nicht mehr vor. Ab den 1920er Jahren und dem Einfluss des Bauhaus wird die Technik zum seriellen Motiv, das den Blick verändert (Albert Renger-Putzsch: „Kauper Hochofenwerk“). Raum 7 zeigt bis in die 1990er Jahre reichende Beispiele, darunter natürlich auch Bernd und Hilla Becher.
Die Ausstellung mündet in der Gegenwart, die die Aktualität von Marx und Engels verdeutlicht. Es zeigt sich, dass „die Ausbeutung von Mensch und Natur nicht gut gehen kann“, so Birthälmer. „Katastrophen widerlegen den Glauben daran, dass der Mensch alles beherrschen kann.“ Ob Vermüllung (Maarten Vanden Eynde: „Platic Planet 2“) oder Kapitalismuskritik (Thomas Lochner: „10. Marx / Capital“. Vision und Schrecken liegen nah beieinander.