Preise der Wuppertaler Literatur Biennale wurden verliehen Gestörte Mensch-Natur-Beziehung
Wuppertal · Preise der Wuppertaler Literatur Biennale wurden verliehen. Im Jahr der Coronakrise stand die Realisierung der damit verbundenen Veranstaltung mehrmals auf der Kippe.
Drei Begriffe, die durch das Wort „Berührungen“ zusammengehalten werden. „Tier, Mensch, Maschine - Berührungen“ lautet das Motto der Wuppertaler Literaturbiennale, das 2018 entworfen wurde. Im Jahr der Coronakrise stand die Realisierung der damit verbundenen Veranstaltung mehrmals auf der Kippe. Sie wurde in den Herbst und nun ins Netz verschoben. Wo es von Donnerstag an vier Tage lang in kompakter Form gestreamt wurde.
Am Sonntag wurden die beiden diesjährigen Preisträger, Astrid Gläsel (Förderpreis) und Philipp Böhm (Hauptpreis), ausgezeichnet. In der berührungslos-nachdenklichen Feierstunde im Loch-Studio wurde deutlich, dass Literatur mehr als schöne Romane zu bieten hat. Sie ist für die Gesellschaft essenziell.
Seit vier Jahren gibt es den Preis der Literaturbiennale. Die Kulturstiftung NRW lobt ihn aus, weil er den Nachwuchs auszeichnet, der zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen schreiben soll, und weil ihr das Festival-Programm gefällt. Es arbeite mit Autoren und ihren Werken, die zum Thema passen und nicht gerade ein neues Buch vorzustellen haben. Und es binde die lokale Literaturszene ein. Begründet Dagmar Fretter, Literatur-Expertin der Kunststiftung, das Engagement. Einen Haupt- und zwei Förderpreise werden alle zwei Jahre in Wuppertal vergeben. Diesmal befand die fünfköpfige Jury zwei der insgesamt 94 eingesandten Erzählungen für preiswürdig.
Es seien zwei im doppelten Sinne ausgezeichnete und sehr unterschiedliche Texte, die verschiedene Wahrnehmungen, Assoziationen und Reaktionen wecken, erzählt Peter Grabowski, kulturpolitscher Reporter und Moderator der Verleihungsrunde. Ein kompliziertes Mutter-Tochter-Verhältnis steht im Mittelpunkt des Textes „Einander Gutes tun“ der 27-jährigen Politikwissenschaftlerin Astrid Gläsel. Die Tochter hofft, mit Hilfe eines Pflegeroboters in Gestalt eines flauschigen Robbenbabys die Verantwortung für die demente Mutter zu delegieren.
Der 32-jährige Germanist und Politikwissenschaftler Philipp Böhm hat mit „Der Schellenmann“ 2019 sein Debüt als Romantautor gegeben. Sein zur Biennale eingereichter, nicht leicht zugänglicher Text „Playhouse“ handelt von einer Welt, in der sich wohlhabende Menschen dank Organaustauschs ewige Jugend kaufen können. Die durchaus pessimistische, in einer ganz eigenen Sprachmischung verfasste Zukunftsvision habe die Jury sofort überzeugt, berichtet Fretter.
Gemeinsame Suche nach der richtigen Sprache
Ausgezeichnet ist auch der Ort der Feierstunde: Schon mehrfach hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Kulturzentrum Loch zur Spielstätte des Jahres ernannt. In der Coronakrise baute es seine Qualitäten als Aufnahmestudio aus. Die Musik-Bühne ist einer Wohnzimmeridylle mit dem Charme längst vergangener Jahre gewichen – inklusive Brockhaus Enzyklopädie im Regal, röhrendem Hirschen auf dem Couchtisch und Gummibaum im Blumentopf. Hier führt Grabowski durch die über stew.one live gestreamte Sendung. Ihm gegenüber sitzt Dagmar Fretter, die „nur“ aus Düsseldorf anreisen musste. Zwischen ihnen und damit in der Mitte steht der Monitor, auf dem die Gäste eingeblendet werden.
Neben den Nachwuchsautoren (aus Berlin) ist das der Dramaturg, Schriftsteller und Professor für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin, John von Düffel (aus Potsdam). Er steuert den Vortrag „Empathie mit dem Baggersee“ bei, der das Biennale-Motto spiegelt und seine Bedeutung für die Zukunft der Gesellschaft herausarbeitet. Als bekennender Fan von Naturbeschreibungen anerkennt von Düffel Tolstois meisterhafte Landschaftsbeschreibungen in „Anna Karenina“ und träumt von Romanen über die Natur, die weder vom Menschen noch von einer Handlung gestört werden. Regelmäßiges Schwimmen im Baggersee, einem verschandelten Ort, den sich die Natur langsam von der industrialisierten Welt zurückerobere, bringe ihn trotz Anstrengung ins Lot, lasse ihn demütig werden. Seine Forderung: Das bislang von der menschlichen Überheblichkeit bestimmte Verhältnis zur Natur müsse neu justiert werden. Vor dem Hintergrund der Klimakrise, die ein Jahr der brennenden Wälder (und einen unnatürlich warmen Novembersonntag) beschere, müsse die Literatur die Sprache dafür finden, müsse auch politisch sein. Nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch überzeugen.
Sehen das seine Studenten auch so?, will Grabowski wissen. Ja, meint von Düffel, das Wollen sei da, aber das Klimawandel-Stück, der Klimawandel-Roman noch nicht geschrieben. „Wir suchen gemeinsam, wie das gehen kann.“