Rebellion mit der E-Gitarre
Mit Goethes „Urfaust“ eröffnen die Wuppertaler Bühnen morgen Abend die Saison. Dabei wird es rockig zugehen.
Wuppertal. Wenn sich Freitag im Schauspielhaus der Vorhang hebt zur Saisoneröffnung mit Goethes "Faust", dann wird sogleich Schauspieler Thomas Braus als Titelfigur zu hören sein mit den bekannten Versen "Hab nun, ach, die Philosophei, Medizin und Juristerei, und leider auch die Theologie durchaus studiert mit heißer Müh. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug, als wie zuvor."
Doch warum gibt es zuvor nicht das "Vorspiel auf dem Theater" mit dem Direktor und dem Dichter oder den "Prolog im Himmel" mit dem Herrn und Mephistopheles? Die Erklärung ist einfach: Hier geht es nicht um den Klassiker "Faust I", sondern um den "Urfaust", ein Fragment, das Johann Wolfgang Goethe (damals noch ohne den adeligen Namenszusatz) in Frankfurt in der Zeit zwischen 1772 und 1775 verfasste. Diese erste Version des Faust-Stoffes wurde erst 1887, lange nach dem Tod des Dichters, als Abschrift im Nachlass von Luise von Göchhausen in Weimar gefunden.
Goethe ist gerade mal Anfang 20, als er das heute als "Urfaust" bezeichnete Fragment verfasst. Es entsteht zur selben Zeit wie "Die Leiden des jungen Werther" und ist wie dieser Briefroman ganz ein Werk des Sturm und Drangs.
Zwar ist der "Urfaust" als eine Vorform des "Faust I" anzusehen, doch lange nicht nur als das. Es kommt ihm auch eine ganz eigene Qualität zu. Neben einigen inhaltlichen Abweichungen ist der entscheidende Unterschied zum späteren Werk, wie Goethe hier die Sprache verwendet. Der Text ist nicht in Versen gesetzt, sondern bietet eine kraftvolle Prosa. "Das Werk ist radikal, hitzig, ursprünglich und ungeschliffen", sagt Dramaturgin Alexandra Jacob begeistert. Auch Regisseur Christian von Treskow schwärmt: "Ich finde es viel interessanter, den ’Urfaust’ zu inszenieren. Das Stück ist zerissen, dabei voller Kraft." Gerade das Fragmentarische biete eine Herausforderung an die Regie. "Denn dann ist man gezwungen, einiges dazu zu erfinden."
Die Inszenierung wird die Faust-Szenen in bunten Kostümen zeigen und in einem Dorf aus sieben kleinen Häuschen, die sich rund um eine Kirche scharen. Assoziationen an ein Puppenspiel sind dabei beabsichtigt. Denn, so erklärt von Treskow: "Die Faust-Parabel war im 18. Jahrhundert ein sehr viel gespielter Stoff und wurde vor allem als Puppenspiel umgesetzt."
In diese Dorf-Idylle wird mit Mephistopheles das ungestüme Leben und die Rebellion einbrechen. Dieser Typ kommt auf dem Fahrrad angefahren und bringt den Rock ’n’ Roll mit. Komponist Sebastian Weber hat die im "Urfaust" enthaltenen Lieder wie zum Beispiel "Der König von Thule" oder Gretchens "Meine Ruh ist hin" in englischer Übersetzung vertont. Die Schauspieler werden zehn fetzige Songs live singen. "Die E-Gitarrenmusik galt lange als das Dämonische, so schreckt Mephistopheles bei uns auch nicht vor der Rebellenpose zurück", kündigt der Regisseur vergnügt an.
Und: "Am Ende geht die Kleinstadt zugrunde." Es wird also spannend, denn was da auf der Bühne geboten wird, ist alles andere als ein dröger, unantastbarer Klassiker.