Seniorentanztheater Berührungen derzeit besser nur im Kopf
Wuppertal · Seniorentanztheater: Das Ensemble von Claudio li Mura arbeitet an seiner achten Produktion. Und macht wegen des Coronavirus unfreiwillig Pause.
Bisher gibt es nur einen Arbeitstitel, einige Skizzen, gesammelte Momente. Und nun stoppt auch das Coronavirus die Weiterentwicklung. Claudio li Muras Seniorentanztheater arbeitet an seiner neuen Produktion. Befindet sich nun aber mindestens bis nach der Osterzeit in Zwangspause. Was für das gut 20-köpfige Ensemble eine reine Vorsichtsmaßnahme ist, ist für den Theaterchef überlebenswichtig, erholt er sich doch von einer schweren Krankheit, die seine Abwehrkräfte geschwächt hat. Seine große Liebe zu seinem Theater, „meinem Kind, meinem Leben“, aber schwächelt nicht, ist unvermindert stark. Die Gedanken schweifen schon ins nächste Jahr, wenn das „Kind“ zehn Jahre alt wird. Ein runder Geburtstag, der besonders gefeiert werden könnte.
„Ode an Tersicore“ war die bislang letzte Produktion, die siebte, zählt li Mura nach. 2018 wurde sie im Theater am Engelsgarten aufgeführt, einer der Spielstätten, die das einzigartige Ensemble in Wuppertal und drumherum im Bergischen Land bespielt. Auch in der Oper nebenan trat es schon auf, li Mura wünscht sich, dass daraus eine Regelmäßigkeit entsteht. „Einmal im Jahr dort auftreten, wäre doch toll, und dann eine Aufführung für die ganzen Ehrenamtler als eine Art Honorierung auf die Beine stellen“, denkt er laut und hofft auf mehr Anerkennung und kostenfreie Nutzung der vorhandenen Infrastruktur der Bühnen. Sein Ensemble arbeitet ehrenamtlich, ist auf Unterstützung angewiesen, Spenden, Förderung. Kostüme stellt jeder selbst. Li Mura: „Die Stadt kann stolz auf uns sein, wir vermitteln alten Menschen Freude und Selbstbewusstsein.“
Li Mura ist ein großer
Verehrer von Pina Bausch
Im Mai 2019 begannen die Proben zum neuen Stück – im Nachbarschaftsheim, wie immer. Li Mura ist ein großer Verehrer von Pina Bausch („mein Idol, meine Inspiration, mein Vorbild“), hat sämtliche Stücke von ihr gesehen und widmet ihr seine eigenen Werke. Die er, wie sie, über Stichworte entwickelt, die er vorgibt – „Glück“ oder „Traurigkeit“. Die Tänzerinnen und Tänzer zeigen, was ihnen dazu einfällt. Es entstehen Bilder, die li Mura zu Skizzen zusammenfügt und wie ein Zeichner mit dem Radiergummi bearbeitet, streicht, was nicht gefällt oder durch Besseres verdrängt wird. „Ich modelliere, bis es sitzt.“
Eine feste Abfolge, eine Choreographie fehlt derzeit noch, aber es soll um „my love“, so der Arbeitstitel, gehen: „Das neue Stück handelt über unser Leben, die Unterschiedlichkeit.“ Es sollen wieder sprechende Bilder werden, die jeder anders ansieht, hört und erlebt. So wie das bei den Proben auch geschieht, wenn „aus dem Nichts plötzlich etwas entsteht, sich eine Explosion der Gefühle ereignet“, so dass man sich fragt: „Was ist denn da passiert?!“
Die Tänzerinnen und Tänzer öffnen sich, entwickeln Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl. Hemmungen werden ab-, Vertrauen aufgebaut. Konkrete Aufführungstermine für Stück Nummer acht gibt es zwar noch nicht, „wenn wir nicht rechtzeitig fertig werden sollten, wäre aber auch eine work in progress denkbar“, sagt li Mura.
55 Jahre müssen die Ensemblemitglieder mindestens alt sein, ansonsten keine tänzerische Vorbildung mitbringen. „Sie kommen wie sie sind, müssen natürlich sein und offen, nicht intellektuell“, erklärt li Mura, der um eine lange Warteliste weiß, beim Casting auch schon mal Bewerber wegschicken musste, weil sie zum Beispiel nicht ins Ensemble passten.
Angelika Haschke ist fast seit dem Anfang dabei, die ehemalige Altenpflegerin ist sportlich, wollte sich bewegen, aber mit Herz. Sie war fasziniert vom freien und so andersartigen Schaffen, das ihr erlaubte sich selbst und ihre Potenziale zu entdecken und zu erleben. Begeistert ist auch Christine Klüppelholz, die seit zweieinhalb Jahren im Tanztheater mitarbeitet. Die langjährige Chefsekretärin hatte einen Aushang entdeckt, kümmert sich um die Büroarbeit, Dokumentation, Protokolle. Mittanzen will sie (noch) nicht, „im Moment gefällt es mir so, wie es ist“. Berührt aber ist auch sie.
Berührungen müssen freilich derzeit besser im Kopf als tatsächlich stattfinden. Bis die Coronavirus-Gefahr gebannt ist.