Theater um drei Damen vom Amt
Viel Applaus für überlastete Sozialarbeiterinnen: „Kaspar Häuser Meer“ hatte im Kleinen Schauspielhaus Premiere.
Wuppertal. „Wir schaffen das!“ Klipp und klar steht es auf dem weißen Tuch, mit dem ein Trio munter grüßend einmarschiert. Die frohe Botschaft wird dem Publikum im Kleinen Schauspielhaus mit großer Lust vor die Nasen gehalten. Und schon dürfen die Premierengäste grübeln, was damit wohl gemeint ist: Bewältigen die drei Sozialarbeiterinnen ihr kaum zu schaffendes Arbeitspensum, oder gelingt den Wuppertaler Bühnen gar der Erhalt aller Sparten?
Nicht nur die Aussage auf dem Transparent ist auf zwei Ebenen zu verstehen. Das ganze Theater, das sich seit Samstagabend an der Kluse abspielt, lebt von verschiedenen Perspektiven.
Denn hinter jeder Wohnungstür finden sich individuelle Schicksale. Und hinter so manchem Nebenraum lauern extreme Charaktere: Penetrante Denunzianten, die mit dem Finger auf kinderreiche Familien zeigen, genauso wie Nachbarn, die lieber wegsehen, sobald der Verdacht auf Misshandlung die Runde macht. Dazwischen stehen drei Damen vom Amt: Sozialarbeiterinnen, die ihr eigenes Päckchen zu tragen haben, überfordert, desillusioniert oder schlichtweg überarbeitet sind.
„Kaspar Häuser Meer“ ist nicht nur ein tiefsinniges Spiel auf mehreren Ebenen, sondern auch noch preisgekrönt: Für ihr Stück hat Felicia Zeller bei den Mülheimer Theatertagen 2008 den Publikumspreis erhalten. Seitdem befindet sich das witzige Sozialdrama mit dem ernsten Hintergrund auf einem Siegeszug quer durch die Republik.
Auch in Elberfeld zeigt sich nun, wie aussichtslos der Kampf gegen die eigenen Versagensängste, den öffentlichen Druck und das vergiftete Betriebsklima ist, wenn die ausufernde Bürokratie hohe Wellen schlägt. Zeller rückt in ihrem Stück nicht einzelne Misshandlungen in den Mittelpunkt, sie skizziert — allgemein und doch individuell-berührend — das Bild einer leergebrannten Berufsgruppe.
Katrin Lindner, die zum ersten Mal in Wuppertal Regie führt, setzt die Vorlage kontrastreich um. Die 32-Jährige lässt ihr Schauspielerinnen-Trio immer wieder in Posen erstarren, während die Arbeit im Amt eigentlich gar kein Luftholen zulässt.
Andererseits sorgt sie dafür, dass Anne-Catherine Studer, An Kuohn und Julia Wolff hoffnungsfroh die Hüften schwingen und wie Entertainer zum Mikro greifen. Dabei steht die Gute-Laune-Musik („I’m In The Mood For Dancing“), die erklingt, wenn die Amtsstube zum Laufsteg wird, im Kontrast zum Leid einzelner Kinder, die im allgemeinen Zeitdruck und im besten Amtsdeutsch nicht mehr als ein Fall unter vielen sind.
Auch die Farben wirken auf den ersten Blick denkbar unpassend. Im grauen Amtsalltag, der sich um Erhebungsbögen, Jahresstatistiken und Meldeformulare dreht, sind die Kolleginnen kunterbunt angezogen (Kostüme: Svenja Göttler). Auf nahezu leerer Bühne wirken sie deshalb wie verlorene Einzelkämpfer in einem System, das mehr Zahlen als Einzelschicksale kennt: Ausgerechnet die alles andere als verruchte Anika (Anne-Catherine Studer), die sich nicht durchsetzen kann und wenig Selbstbewusstsein hat, trägt Signalrot.
Silvia (Julia Wolff), die sich in Selbstmordgedanken flüchtet, erscheint in lebendigem Gelb, und Barbara (An Kuohn), die Routinierte, die den Glauben, die Welt verbessern zu können, längst verloren hat, bekennt ebenfalls überraschend Farbe: Ihre Kleidung ist grün wie die Hoffnung.
„Wir schaffen das!“, heißt es am Anfang. Am Ende gibt es reichlich Applaus für eine Inszenierung, die vor allem von viel Text und von drei starken Schauspielerinnen lebt, die menschliche Schwächen augenzwinkernd offenlegen, ohne sie jedoch ganz der Lächerlichkeit preiszugeben. Das Trio hat es in der Tat geschafft: Studer, Kuohn und Wolff meistern das Scheitern ihrer Figuren erfolgreich.