Lesung Fontane, Effi Briest und eine ungehaltene Rede an Rollo

Das Ensemble recitando ließ den vor 200 Jahren geborenen Schriftsteller und seine Zeit in der Erlöserkirche wieder aufleben.

Rita Reinecke vom Ensemble recitando las von und über Theodor Fontane.

Foto: Fischer, Andreas H503840

„Aber Effi!“, stöhnt sie, betont jede Silbe, die wachen Augen über den oberen Rand der Lesebrille in die aufmerksamen Gesichter vor ihr gerichtet: Rita Reinecke ist in ihrem Element. Liest aus Christine Brückners Monolog „Effi an den tauben Hund Rollo“ – eine von elf ungehaltenen Reden, die die Autorin 2005 unter dem Titel „Wenn du geredet hättest, Desdemona“ veröffentlichte.

Reinecke ließ der geistreiche Text nicht mehr los, als sie ihn selbst vor Jahren im Radio hörte. Und so stellte die Rezitatorin ihn am Sonntag in den Mittelpunkt des aktuellen Programms des Ensembles recitando, dem neben ihr Elisabeth Stoffels-Noll und Iris Rauhaus angehören. Anlass der gut besuchten musikalischen Lesung in der Wichlinghausener Erlöserkirche: Der 200. Geburtstag Fontanes, auf dessen berühmteste Romangestalt Effi Briest Brückners Text fußt.

Sie kennen sich schon lange aus der Kirchengemeinde oder über die Kinder, die im selben Kindergarten waren. Und sie ergänzen sich: Iris Rauhaus ist Organistin der Gemeinde und Klavierspielerin, Sängerin Elisabeth Stoffels-Noll ist Ehefrau des ehemaligen Pfarrers der Gemeinde und hat eine ausgebildete Singstimme, Rezitatorin Rita Reineke ist außerdem im Kinder- und Jugendtheater und im Schnipsel-Kino aktiv. Seit elf Jahren bestreiten die drei Damen jährlich ein gemeinsames Programm, das sie in Wichlinghausen und am Arrenberg aufführen. Der Name „Ensemble recitando“ drückt die inhaltliche Verbindung des literarischen mit dem musikalischen Schwerpunkt des Trios aus.

Ein KFZ-Kennzeichen, eine Schaukel und Apothekerflaschen

Ein halbes Jahr haben sie diesmal gebraucht, um aus der Vielzahl der Texte von und über Fontane ein Programm zusammenzuschrumpfen, das einen Bogen von der Kindheit (mit Texten aus „Meine Kinderjahre“) bis zum Lebensende (Ja, das möchte ich noch erleben“) des vielseitigen Künstlers Fontanes spannte. Dabei stellten sie bewusst einen Text über, nicht von ihm ins Zentrum, weil Brückner den Roman lebhaft und kompakt zusammenfasste. Dabei enthüllte, warum Effi Briest gegen die Normen der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts aufbegehrte, was sie fühlte, was sie dachte. Und damit „das schrieb, was sie im Roman Fontanes eben nicht gesagt hat“, so Reinecke.

Ein Kfz-Kennzeichen NP, eine Zeichnung, die Max Liebermann gefertigt hat, ein Strohballen, auf dem Äpfel und Apothekerflaschen ruhen, eine lässig über einen Paravent gehängte Schaukel. Wer sich Theodor Fontane nähert, der 1819 in Neuruppin geboren wurde und 1898 in Berlin starb, begegnet nicht nur dem Schriftsteller und herausragenden Vertreter des poetischen Realismus, einem Literaten, der seine Heimat spiegelte und verewigte – von der Landschaft bis zur preußischen Gesellschaft. Er begegnet auch einem Apotheker, Journalisten, Theaterkritiker, einem „Sprachkünstler, der heute vielleicht twittern oder bloggen würde“, führte Reinecke in den Abend ein, der natürlich, dem Thema geschuldet, einen deutlich literarischen Schwerpunkt hatte.

In Gedichten, darunter das berühmte „Herr von Ribbeck“, Briefen und kurzen Erzählungen wurden Fontane und seine Zeit wieder lebendig. Reinecke erinnerte an seine sogenannten Wanderungen durch die Mark Brandenburg („die Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches“) – in Wirklichkeit Fahrten, die ihn zu den Herrensitzen führten. An seine Schwäche für schöne Frauen („ein Thema, das ein eigenes Programm füllen könnte“), seine witzige, durchaus selbstironische Sprachkunst.Hinzu nahm sie Texte über Fontane – neben Brückner, auch de Bruyn und Strittmatter. Reinecke las ausdrucksstark, begeisternd, lebendig, bannte von der ersten bis zu letzten Silbe das Publikum, das an ihren Lippen hing.

Komplettiert wurde ihre Lesung durch eine Auswahl romantischer Musikstücke von Richard Strauss, Clara und Robert Schumann, Edvard Grieg, Fanny Hensel und Carl Loewe. Die stimmungsvollen, einfühlsammen Lieder fügten sich gut in den Tonfall Fontanes und seiner Zeit ein. Iris Rauhaus allein oder zusammen mit Elisabeth Stoffels-Noll trugen mit feinfühligem Anschlag und zarter, glockenklarer Stimme dazu bei, dass das Publikum in eine längst vergangene Welt eintauchen und das Wochenende heiter-wohlig ausklingen lassen konnte.