Wuppertaler Bühnen: Gleich zwei Premieren in der Börse
„Anna sagt was“ – und der „Struwwelpeter“ spuckt in seine Suppe.
Wuppertal. Sechs Theaterstücke in zwei Wochen bedeuten eine Kraftprobe für die Schauspieler der Bühnen. Dass sie diese bravourös meistern, zeigen die sehr gegensätzlichen Premieren von "Struwwelpeter" und "Anna sagt was".
Besonders Anna sagt nicht nur etwas, sie redet wie ein Wasserfall. Eineinviertel Stunden lang quellen in der Börse die Worte aus An Kuohn hervor - ohne das winzigste Stocken, ohne größere Pausen, dafür aber mit viel Witz und Überzeugungskraft. Peter Schanz hat in seinem im vergangenen Jahr uraufgeführten Stück ein altes Thema aufgegriffen und es zu einem grandiosen Monolog voller Pointen ausgebaut.
Der Regisseur Peter Wallgram seinerseits lotete mit An Kuohn alle Möglichkeiten menschlichen Seins aus. Mal jammert sie als Souffleuse über die Arbeitsbedingungen am Theater, verzieht gequält das Gesicht ob der dortigen "Leibeigenschaft". Dann wieder erzählt sie glücklich, aber mit leisem Unterton von den Zeiten, als sie selbst noch oben auf der Bühne stand. Sie nölt altväterlich in Nachahmung des Intendanten oder quiekt empört ob der Zumutungen des (Theater-)Lebens.
Umständlich schafft sie ihre fünf Thermoskannen aus dem Souffleur-Kasten hervor, schimpft wieder und wieder über die Kälte im Kasten. Sie lässt die großen Papp-Elemente (Bühne: Jeremias Vondrlik) hin- und herwippen und schildert dazu genüsslich, wie sie die Schauspieler hängen lassen kann, indem sie ihnen den falschen Text einsagt oder gar zu früh einspringt.
Mal schaut An Kuohn herablassend auf die Zuschauer, dann blickt sie ihnen wieder direkt in die Augen. Jede Nuance ist hier durchdacht, jede Geste verinnerlicht, jeder noch so abrupte Sprung von einem zum anderen Thema wirkt plausibel. Am Ende lang anhaltender Applaus für eine schauspielerische Glanzleistung.
Völlig anders hingegen ist der "Struwwelpeter". Hier kreuzen sich Splatter-Symbolik, Comedy und Zeichentrick-Ästhetik. Ketchup spritzt reichlich. Schon im Original-Struwwelpeter wird viel Blut vergossen, aber die Fassung des Autorenteams Phelim McDermott, Julian Crouch und Martyn Jacques führt noch deutlich weiter. Blendet das Kinderbuch beim Daumenlutscher dezent aus, nachdem der Schneider mit der großen Schere gekommen ist, werden in "Shockheaded Peter" Blutlachen ausgekostet.
Mit wilder Struwwelmähne stehen Maresa Lühle und Andreas Ramstein in der Börse, verteilen weiträumig die Suppe, in die sie vorher hinein gespuckt haben, schneiden Finger um Finger mit der Brotschneidemaschine. Hier wird nicht nur der Jäger erschossen, sondern ebenso der Hase samt Hasenkind. "Manchmal müssen wir grausam sein - einfach nur so, zur Entspannung", doziert die Stimme aus dem Off. Mal mahnend, mal witzig gibt sie ihre Kommentare ab und zitiert die Strophen des Originals.
Stefan Leibold, der auch Regie führte, spielt am Keyboard lustige Zirkus- und Jahrmarktsmelodien, zu denen die beiden Schauspieler singen, krächzen, piepsen und grunzen - aber immer melodisch. Sie bauen aus den Pappklötzen von Bühnenbildner Jeremias H. Vondrlik den Tisch für den Zappelphilipp und haben sichtlich Spaß an dieser Dekonstruktion des Struwwelpeters. Nach einer Dreiviertelstunde ist der groteske Spuk schon vorbei und wird mit begeistertem Applaus bedacht.