Zu Besuch bei Tony Cragg: Wo Rehe die Gäste begrüßen
Ein Rundgang durch den Skulpturenpark ist umso interessanter, wenn Tony Cragg selbst durch das Areal führt.
Wuppertal. Ein Foto? Natürlich — das gehört zu einem Interview wie ein Katalog zu jeder guten Ausstellung. Wo aber kann Tony Cragg am besten fotografiert werden? Vor einer seiner Lieblingsskulpturen?
Der Bildhauer, der als Weltstar der Kunstszene gefeiert wird, winkt ab. „Ach, da sind schon so viele Fotos entstanden.“ Nein, der 62-Jährige möchte etwas ganz Anderes in den Mittelpunkt rücken: die Natur. Denn darum geht es ja schließlich: um die Verbindung von Wald und Skulptur, von natürlich Gewachsenem und künstlich Geschaffenem.
Das Erfolgsrezept ist kein Geheimnis: Es ist die Mischung aus Natur und Bildhauerei, die allein in den ersten beiden Jahren nach der Parkeröffnung 60 000 Besucher angelockt hat. „Es ist einfach ein Ort, der sehr viel bietet“, sagt Cragg. „Er wirkt entspannend, ist aber auch spannungsvoll.“
Wer Cragg folgt, macht ohnehin spannende Entdeckungen. „Schauen Sie mal — hinten links liegt ein Reh.“ Cragg sagt’s, als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass Rehe die Gäste begrüßen. Das ist es an der Hirschstraße in der Tat: „Inzwischen haben wir eine ganze Familie hier.“
Cragg freut’ s, trotzdem kann er sich mit solch tierischen Alltäglichkeiten nicht lange aufhalten. Er lässt das Reh links liegen („Am besten schauen Sie nicht hin, dann stören wir das Tier nicht und es bleibt, wo es ist“), mustert stattdessen fürsorglich das Gehölz am Wegesrand und entpuppt sich als großer Baum-Kenner. Fachmännisch, mit beherzten Handgriffen, berührt er Rinden und Äste, schaut in Richtung Wipfel, macht sich Gedanken um Zustand und Wohlbefinden der einzelnen Bäume.
Und dann ist er gefunden — der ideale Platz für ein Foto. Nur eine Frage sei noch erlaubt, wie es scheint: „Sieht man auf dem Bild auch genug Wald im Hintergrund?“
So steht Cragg neben seiner „Photon“-Skulptur und wünscht sich, dass nicht nur seine Kunst im Zentrum steht. Der Fokus liegt nicht zuletzt auf dem Grün, das sie umrankt. Wann er sich hierhin am liebsten zurückzieht? „Sehr früh oder sehr spät abends“, erklärt der Bildhauer. „Wenn es im Park ganz ruhig ist. Das genieße ich. Denn es gibt viele Vogelarten hier — auch Füchse und Dachse.“
Wie anders ist dagegen doch die Atmosphäre in der Düsseldorfer Kunstakademie. Aber auch dort spürt Cragg eine Mission: Seitdem er die Leitung übernommen hat, ist er nicht nur als Künstler, sondern auch als Rektor hoch angesehen. „Ich freue mich, dass man das so sieht“, erklärt er. „Aber es war immer eine gute Akademie. Wenn ein neuer Rektor da ist, beginnt zwangsläufig eine neue Zeit. Wir haben das Kollegium verstärkt und sind auf einem guten Weg.“
Den will er auch in Barmen weitergehen. „Ich hoffe, dass es mit der Parkerweiterung klappt“, sagt Cragg, während er wieder zum „Baum-Doktor“ wird und auch schon den nächsten grünen Patienten untersucht. Nur das Reh, das nimmt am Ende doch Reißaus. An Tony Cragg liegt es nicht — wohl eher am WZ-Team, das trotz der höflichen Warnung nicht anders kann, als den tierischen Waldbewohner neugierig zu begutachten. Aber so soll es ja auch sein: Wer durch den Skulpturenpark spaziert, sollte keinen Tunnelblick haben, sondern nach links und rechts schauen.