Wuppertaler Lehrer Mit Luna auf Lesetour durch Schulen
Gastbeitrag Für Arne Ulbricht gibt es nichts schöneres als vor Grundschulkindern zu lesen.
„Es schneit“, ruft eines der 58 Grundschulkinder, denen ich gerade vorlese. Schon in Zeiten, in denen Schnee keine Sensation war, hätten nach einem solchen Zwischenruf alle Kinder aus dem Fenster geguckt. Im Jahr 2019 kann man eine Lesung in einem solchen Moment quasi abbrechen. Und der unerwartete Schneefall war nicht der einzige Moment, in dem das Vorlesen ziemlich anstrengend wurde.
Wenn man vor zwei Klassen gleichzeitig liest, liegt die Hälfte der Kinder zum Beispiel oft auf Matten. Und dort spielen sie irgendwann mit ihren Klettverschlüssen, schubsen sich oder beginnen irgendeinen Takt zu klopfen, obwohl ich nicht singe. Es kam auch schon vor, dass ein Großteil der Kinder beim Wort „Pipi“ (das gleich im ersten Kapitel vorkommt) nicht nur gelacht, sondern minutenlang gegrölt hat. Oft lese ich dreimal aufeinander folgend vor zwei Klassen – danach fühle ich mich manchmal wie nach dem einzigen Marathonlauf, an dem ich jemals teilgenommen habe.
Dennoch käme ich nie auf die Idee zu denken: Warum mache ich das eigentlich? Nun ja, dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Erstens finde ich es ungemein wichtig, dass Kindern vorgelesen wird: Bei vielen bleibt nämlich trotz extremer Herumwuselei etwas hängen. Und sei es nur, dass hinter jedem Buch tatsächlich ein Mensch steht, der sich die Geschichte ausgedacht hat und der ihr Onkel oder ihre Tante sein könnte. Bücher sind also nicht nur etwas Lebendiges, sie werden sogar von lebendigen Menschen geschrieben! Wenn nur ein einziges Kind anschließend doch mal zu einem Buch greift, wäre schon viel gewonnen. (Denn Lesen macht bekanntlich nicht dümmer.)
Zweitens bringt das Vorlesen trotz allem Spaß, und wenn die Klassen wie fast immer mitfiebern, erlebe ich eine solche Lesung wie einen Rausch. Ach, wie herrlich es ist, wenn die Kinder über Luna lachen, weil sie sich über ihren auf Klo lesenden Papa aufregt. Oder wie sie kollektiv „Ihhhhh“ schreien, wenn Lunas Freund eine tote Maus findet und sie einfach mitnimmt. Der Höhepunkt ist immer dann erreicht, wenn ich aus dem Kapitel „Beim Tae-Kwon-Do darf man schreien“ lese und sie auf mein Kommando hin wie Luna während ihres Trainings brüllen dürfen. (Anschließend habe ich manchmal ein Fiepen wie nach einem Rockkonzert im Ohr.)
Am Ende der Lesung teste ich, ob die Kinder auch aufgepasst haben, und frage: „Warum heißt das letzte Kapitel Hilfe, Mama will Erbsen essen?“ „Weil sie Hunger hat“, sagt ein Schüler. „Nein… das Kapitel heißt ja Hilfe, Mama will Erbsen essen.“ Ein Mädchen knipst ganz aufgeregt mit den Fingern. „Ich habe auch mal Fußball gespielt!“, sagt es. „Ja, schön“, sage ich, bin kurz verwirrt und überlege, wie ich die Frage umformulieren kann. Dazu fällt mir nun wirklich nichts ein, weshalb ich den Jungen dran nehme, der sich so ruhig meldet. Ob er mir jetzt erzählt, dass er ein Haustier hat? Nein, er sagt: „Weil Luna ja im ersten Kapitel das Handy von Mama im Eisschrank unter den Erbsen versteckt.“ Bingo! Ich bin erleichtert… wenigstens ein Kind hat mitbekommen, dass es in diesem eher szenischen Buch doch so etwas Ähnliches wie einen Spannungsbogen gibt.
Und natürlich dürfen auch die Kinder Fragen stellen. Und wenn ein Kind fragt, ob ich in jedes Buch den Text neu reinschreibe, dann denke ich: Es gibt einfach nichts Schöneres als so eine Grundschullesung.