Kolumne Prekäre Pauker

Adolf Diesterweg und die Professionalisierung der Lehrerausbildung.

Kolumne: Prekäre Pauker
Foto: Anette Hammer(Anette Hammer)

Montag fängt die Schule wieder an. Die einen wird es freuen, die meisten aber wohl ärgern. Das liegt nicht selten am handelnden Personal, also auch an den Lehrern. Diese fristeten noch im frühen 19. Jahrhundert ein eher kümmerliches Dasein. Aber dann kam Adolf Diesterweg. Diesterweg? War das nicht ein einst bekannter Schulbuchverlag mit leider auch völkischer Vergangenheit, aber mit den obligatorischen Geschichtsbüchern für nahezu alle Schulklassen? Für Wuppertaler besonders interessant: Der Verlagsgründer Moritz Diesterweg war der Sohn eines ziemlich berühmten Pädagogen und Sozialreformers des 19. Jahrhunderts, der auch im Tal deutliche Spuren hinterlassen hat: Adolf Diesterweg, der „Pionier“ der Lehrerausbildung in Deutschland. Er stammte ursprünglich aus Siegen und erwarb sich von 1818 bis 1820 als Lateinlehrer in Elberfeld erste Meriten. Dieser Adolf Diesterweg war ein liberaler Vertreter der bürgerlichen Intelligenz seiner Zeit, mit durchaus klarem Blick für die sozialen Verwerfungen im Zuge des aufsteigenden Kapitalismus, dessen Folgen er hautnah im „deutschen Manchester“ an der Wupper erlebte.

Seine Themen waren die Schule im Allgemeinen und das dort tätige Personal im Besonderen: die seinerzeit noch höchst bedauernswerten, schlecht angesehenen und noch schlechter bezahlten Lehrer oder alle, die sich dafür hielten. Im frühen 19. Jahrhundert war die allgemeine Schulpflicht noch neu und insbesondere die Volksschule geradezu ein Stiefkind humanistischer Bildungsideale, eher ein zutiefst trauriger und dunkler Ort, wo dilettierende, zumeist schwach oder autodidaktisch gebildete Lehrkörper nicht selten mit roher Gewalt („pauken“ gleich „schlagen“) der allgemeinen Schulpflicht Geltung verschaffen sollten - und dabei in der Regel scheiterten. Das Personal war nämlich nicht nur miserabel ausgebildet und mit den herrschenden Verhältnissen im Schatten der Kinderarbeit hoffnungslos überfordert, es stand schlichtweg auf verlorenem Posten inmitten von oftmals todmüden Kindern nach sechszehnstündigem Arbeitstag in der Fabrik und Klassenstärken von nicht selten über hundert Schülern. Zwischen notorischen Schulverweigerern und gelegentlich auch handgreiflichen Eltern aus prekären Verhältnissen, die ihre Kinder lieber in der Lohnarbeit als auf der Schulbank sahen, um das Überleben der Familie zu sichern. Lehrer waren selbst miserabel bezahlte Randfiguren der bürgerlichen Gesellschaft mit wenig Sozialprestige.

Diesterweg erkannte den Zusammenhang aus ökonomischer Zwangslage und pädagogischem Defizit und gründete 1820 im nahen Moers ein Lehrerseminar, um den Lehrernachwuchs wenigstens mit einem Minimum an methodisch didaktischen Kenntnissen auszustatten. Er war damit als Anhänger der Lehre Pestalozzis ein pädagogischer Pionier, ausgestattet mit sozialem Gewissen und politischen Ambitionen, der sich jedoch in der Illusion verlief, den sozialen Verwerfungen des Frühkapitalismus durch „Erziehung“ und „Volksbildung“ begegnen zu können. Gemeinsam mit anderen Lehrern gründet er 1844 den „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen“, der als eine elitäre Pioniereinrichtung der bürgerlichen Sozialreform im Kampf gegen die Massenarmut gelten kann, angetreten mit dem Ziel, eine soziale Revolution zu verhindern. Diesterweg hat letztlich der Professionalisierung des Lehrerberufes mit seinen Seminaren und zahlreichen Veröffentlichungen den Weg bereitet und ein Stück Bildungsgeschichte im 19. Jahrhundert geschrieben. Die reaktionäre politische Wende nach 1848/49 erlebte er dann nicht mehr im Schuldienst: Der liberale und religionskritische Pädagoge wurde entlassen. 1866 starb er an der Cholera.