Wuppertal Risiko für Kita-Prozesse wächst
Nach dem Urteil zur Kinderbetreuung mahnen Politik und Verwaltung, weiter mehr Plätze zu schaffen.
Wuppertal. Eltern haben prinzipiell ein Anrecht auf Schadenersatz, wenn sie wegen fehlender Kinderbetreuung nicht arbeiten können — und wenn klar ist, dass die Stadt die fehlende Betreuung zu verantworten hat. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BHG) entschieden. Noch hat es keinen solchen Prozess gegen die Stadt Wuppertal gegeben, aber: „Das Risiko ist da“, stellt Sozialdezernent Stefan Kühn fest. Er wertet das Urteil als „Rückenwind für das, was wir tun: Der Ausbau muss weiter gehen.“
Denn die Versorgung mit Betreuungsplätzen ist in Wuppertal vergleichsweise schlecht. Kürzlich landete Wuppertal bei einem Städtevergleich der Zeitschrift Wirtschaftswoche bei der Betreuung auf Platz 69 von 69. Der BGH hat ausdrücklich gesagt, finanzielle Probleme reichten nicht, die Städte aus der Verantwortung zu entlasten.
Aktuell gibt es in Wuppertal 11 600 Kita-Plätze, davon 2800 für Kinder unter drei Jahren, 8800 für Kinder von drei bis sechs Jahren. Darüber hinaus bieten knapp 150 Tagesmütter und -väter rund 700 Plätze an. Damit erreicht Wuppertal zum Stichtag 1. August 2016 eine Versorgungsquote von 98 Prozent bei Kindern von drei bis sechs Jahren und eine von 31,5 Prozent bei Kindern unter drei Jahren.
Das deckt noch lange nicht den Bedarf, der in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist. Der Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr ist seit 2013 Gesetz. „Damals ging man davon aus, dass der Bedarf gedeckt ist, wenn es Plätze für 35 Prozent der Kinder unter drei gibt“, erklärt Cornelia Weidenbruch, Leiterin des Kita-Stadtbetriebs. Wuppertal hat sich bereits eine Quote von 40 Prozent zum Ziel gesetzt, will diese bis 2019 erreichen.
Die ist schon jetzt überholt, zeigt eine aktuelle Umfrage der Stadt. Danach wünschen sich 55 Prozent der Eltern von Kindern unter drei einen Betreuungsplatz. „Ich vermute, 2020 werden wir bei 60 bis 65 Prozent sein“, sagt Cornelia Weidenbruch.
Obwohl aktuell der Bedarf für Betreuung höher ist als das Angebot, ist es noch nicht zu einem Prozess gegen die Stadt gekommen. „Wir konnten bisher zumindest einen Platz in der Tagespflege anbieten“, erklärt Stefan Kühn. Auch wenn Eltern meist einen Kitaplatz vorzögen, sei die Stadt damit ihrer Pflicht nachgekommen.
Manche Eltern haben sich aber durchaus schon ans Gericht gewandt. Erst letzte Woche sei eine Klage zurückgezogen worden, berichtet Yvonne Bach, Sprecherin des Verwaltungsgerichts in Düsseldorf. Möglicherweise fand sich auch hier ein Betreuungsplatz.
Die Frage ist, ob das immer gelingt: „Wir müssen auf dem Gaspedal bleiben“, betont Stefan Kühn mit Blick auf den Ausbau. Da helfe die Bereitschaft der Freien Träger, sich am Ausbau zu beteiligen, wenn die Stadt ihren Trägeranteil übernimmt — ein entsprechender Beschluss soll jetzt der Jugendhilfeausschuss fassen.
„Viel zu lange“ habe die Stadt gezögert, dieses Angebot anzunehmen, kritisiert Marc Schulz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat. Seiner Meinung nach sollte die Stadt auch mehr für die Betreuung durch Tagesmütter und -väter tun, indem sie den Stundensatz erhöht. Die Stadt habe jahrelang den Ausbau der Betreuung verschlafen. Sollte es jetzt zu Prozessen kommen, müsste sie diese Versäumnisse ausbaden. Und er weist auf noch ein Problem hin: „Es reicht nicht, Gebäude zu bauen. Das Problem ist, Erzieherinnen zu finden.“