Freies Netzwerk Kultur Schulterblick auf meine Wuppertaler Kulturjahre

Wuppertal · Birte Fritsch über die Stadt, in der alle gemeinsam im Regen stehen.

Birte Fritsch ist Kulturmanagerin und Kuratorin. Seit März 2024 leitet sie das Fachteam Programmkurator der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Zuvor war sie Kuratorin im Zentrum für verfolgte Künste und Projektleitung und Kuratorin des Festjahres „Meinwärts. 150 Jahre Else Lasker-Schüler“.

Foto: Franziska Thule

Als ich herkam, brachte ich angefangene Leben und verwegene Gedanken mit: Alle Zukunft war eine Erzählung. Jetzt verlasse ich die Stadt, in der keine Kindheit und doch ein ganzes Leben hinter mir liegt. Was ich hier gelernt habe, hätte ich woanders nicht verstanden.

Denn in Wuppertal stehen alle gemeinsam im Regen. Aus dem ständigen Mangel ist hier – trotzdem – ein immenser Reichtum entstanden: Eine Vielfalt an stabilen Provisorien, improvisierten Rettungen, veritablen Alternativen und Utopien. Topographisch vermag das langgezogene Tal an der Wupper der verräumlichte „Einschnitt im Kulturbetrieb“ selbst sein, aus der Kulturlandschaft ragt es dennoch empor.

Leider wird das hier viel zu selten gefeiert – und dort, wo gefeiert wird, da beschweren sich die Anwohnerinnen und Anwohner. Dieser verhaltene Enthusiasmus mag einerseits darin begründet sein, dass Wuppertal sich den meisten erst bei genauerem Hinsehen erschließt, um daraufhin gleich als das neue Berlin erkannt zu werden. Andererseits darin, dass viele der hiesigen Akteurinnen und Akteure schon so lange und hartnäckig aktiv sind, dass ihnen dabei der Blick dafür verloren gegangen sein mag, welche augenfälligen Höchstleistungen dabei entstanden. In ihrem fortwährenden widerständigen Streben übersehen sie zumal auch das Neue, übersehen die frischen Ideen in ihren alten Kämpfen. Halten fest an der Haltung, die freilich genauso beachtenswert ist, wie die Diversität an Positionen und kritischen Reflexionen.

Wuppertal habe ich stets und immer wieder aufs Neue als Experimentierfeld wahrgenommen, in dem kluge und kühne Ideen entstehen. Dass manche davon verworfen wurden, lag nicht immer daran, dass es hier keinen Platz für sie gegeben hätte. Manchmal standen Räume nicht allen offen. Und auch das ist etwas, das ich hier gelernt habe, wenngleich es für das ganze weite kulturelle Feld gelten mag: Es gibt so viele unsichtbare Schwellen, an denen wir mögliche Mitstreitende und unser Publikum verlieren können.

Wuppertal atmet
kulturelles Erbe

Wuppertal vereint so viele Kontraste, dennoch spiegelt sich diese produktive Vielfalt nicht im Publikum seiner Kulturveranstaltungen, in den Gremien, die darüber beschließen, in den Redaktionen, die darüber berichten, in den Einladungen, die ausgesprochen werden. Denn dort, wo Offenheit schon im Prozess und nicht erst im Ergebnis signalisiert, Kreise geöffnet und Räume geschaffen wurden, kamen vielfältige Gruppen stets zu vielschichtigen Ergebnissen.

Die Lust an der Debatte, die hier zweifelsohne besteht, könnte noch mehr Raum für Dialog entstehen lassen und in mehr außergewöhnliche Kollaborationen münden, wie sie nur auf nassem Asphalt getanzt werden können.

Wuppertal atmet sein kulturelles Erbe, ist die Summe vieler Lebensleistungen, aber es ist größer als das. Teil seiner Tradition waren immer schon die Brüche, die vereinten Widersprüche und die Vielfalt der Region – vom Herzogtum Berg bis ins Bergische Städtedreieck. Diese Diversität anzuerkennen und entsprechend – auch finanziell – zu würdigen, ja, sie zu feiern, das wünsche ich Wuppertal.

Was ich hier an Spuren hinterlassen durfte, betrachte ich mit Stolz, bin denen dankbar, deren Vertrauen ich genießen durfte, als sie mir einen Platz in ihrer Mitte angeboten haben. Wenn ich geh, dann lass ich Tür weit offenstehen.