Flüchtlinge So fordert der Unterricht für Flüchtlinge die Lehrer
Viele Kinder und Jugendliche haben auf der Flucht vor Krieg und Gewalt Unaussprechliches erlebt. Die Integration in den Schulalltag stellt Lehrer vor besondere Herausforderungen. Ein Schulbesuch in Wuppertal.
Wuppertal. „In meiner Klasse wollte sich ein Junge nicht mehr auf seinen Platz setzen. Er sagte, er habe keine Freunde mehr und wollte mit niemanden reden“, erzählt Monja Klinkert, die als Sozialarbeiterin in einer Seiteneinsteigerklasse der Gemeinschaftsgrundschule Am Kothen arbeitet. Sie konnte sich das Verhalten nicht erklären — der Junge aus Syrien war gut integriert in seiner Klasse.
In der Coachinggruppe „Mosaik — Kompetenter Umgang mit kultureller Vielfalt“ bekam sie einen hilfreichen Hinweis: es könne sein, dass der Junge trauert. „Er hatte seine Freunde in Syrien verloren und damit das Gefühl, er habe keine mehr“, sagt Klinkert. Das Coaching habe sie sensibilisiert und es sei auch hilfreich gewesen, solche Situationen auszuhalten. „Es hilft den betroffenen Kindern, dass sie dann nichts erzählen müssen und sich zurückziehen können“, sagt die Sozialarbeiterin Klinkert.
Mit ihrer Erfahrung ist Monja Klinkert nicht alleine. In den vergangenen zwei Jahren kamen auch viele Flüchtlinge nach Wuppertal. Unter den Geflüchteten sind zur Zeit mehr als 2011 Kinder schulpflichtig. Sie werden in sogenannten Seiteneinsteigerklassen vor allem im Fach Deutsch unterrichtet. Innerhalb von zwei Jahren sollen die sogenannten Seiteneinsteiger in reguläre Klassen integriert werden. Doch viele Kinder und Jugendliche haben auf der Flucht vor Krieg und Gewalt Unaussprechliches erlebt oder Familienmitglieder und Freunde verloren.
Die Lehrer der Seiteneinsteigerklassen stehen damit vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen Kindern, die kein oder wenig Deutsch können, die Sprache beibringen. Zugleich müssen sie aber auch eine Antenne dafür haben, was die Kinder aus Flüchtlingsfamilien brauchen, um lernen zu können.
Wuppertaler
Schul-Zeit
Hier setzt die Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Wuppertal an. Sie bietet die Coachinggruppe „Mosaik — Kompetenter Umgang mit kultureller Vielfalt“ an. Das Angebot ist im Rahmen des Programms „Integration durch Bildung“ entstanden, das das Land NRW vor einem Jahr aufgelegt hat. Im vergangenen Halbjahr gab es ein Coaching für Lehrer von Seiteneinsteigerklassen an Grundschulen. „Ein großes Interesse galt dem Thema Trauma“, sagt die Diplom-Psychologin Stefanie Overhaus. Die elf Teilnehmer wollten wissen, wie sie ein Trauma erkennen und wie sie damit umgehen sollen.
„Wir klären zunächst in einem Vortrag auf, was ein Trauma ist. Anschließend können sich die Teilnehmer der Coachinggruppe über ihre Erfahrungen austauschen“, sagt Dr. Jessica Schwittek. Die Diplom-Psychologin leitet mit Stefanie Overhaus die Gruppen. Für traumatisierte Kinder sei es wichtig, Schule als einen sicheren Ort zu gestalten. „Das Kernsymptom ist Angst“, sagt Schwittek.
Stefanie Overhaus, Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Wuppertal
Deshalb sei es wichtig, Transparenz zu schaffen. Das heißt konkret, ständige Lehrerwechsel zu vermeiden, den Tagesablauf klar zu gestalten, Kleinigkeiten, die sich ändern, anzukündigen und den Kindern einen festen Ansprechpartner zu nennen. „Alles was Vorhersehbarkeit bietet, ist Gold wert“, sagt Stefanie Overhaus. In der Lebenssituation als geflüchtetes Kind seien viele Sachen neu und unvorhersehbar, so dass es helfe, Konstanten anzubieten.
„Die geflüchteten Kinder nehmen Schule gut an, weil sie ja auch etwas Ritualisiertes hat“, sagt Overhaus. Zugleich weist die Psychologin darauf hin, dass Lehrer nicht den Job haben, Therapeuten zu sein. „Jeder Mensch hat eine psychische Widerstandsfähigkeit. Viele Kinder verpacken das Erlebte häufig aufgrund der Sicherheit“, sagt Overhaus.
Die Sozialarbeiterin Monja Klinkert konnte für ihre Arbeit einiges aus dem Coaching ziehen. „Es hilft sich vorzustellen, wie man sich in einem fremden Land verhalten würde“, sagt sie. Dass man dann trotzdem an den eigenen Werten und Normen festhalten würde. Ihr Fazit: „Die Kinder brauchen vor allem Verständnis und Schutz.“