Spanierin flieht vor der Krise nach Wuppertal

Matilde Martin Cortes (21) hat in ihrer Heimat kaum Chancen auf eine Arbeit — und wagt in Wuppertal einen Neuanfang.

Wuppertal. Keine Arbeit, keine Unterstützung, keine Perspektive. Während sich junge Erwachsene in Deutschland Gedanken über die Frage machen, ob Jogi Löw Mario Gomez oder Miroslav Klose den Vorzug geben soll, hat Spaniens Jugend ganz andere Probleme. Die geplatzte Immobilienblase und die anschließende Wirtschaftskrise trifft vor allem die jungen Spanier. Mehr als 40 Prozent sind arbeitslos, in Spanien gehen sie auf die Straße. Oder sie gehen ganz.

„Viele aus meinem Freundeskreis sitzen auf gepackten Koffern“, sagt Matilde Martin Cortes. Die Andalusierin aus Granada ist 21 Jahre alt, ausgebildete Friseurin und Stylistin und seit einem Jahr in Spanien arbeitslos. Das Problem: Das soziale Netz in Spanien ist nicht so engmaschig geknüpft wie in Deutschland. Für Arbeitslose gibt es maximal sechs Monate Unterstützung, dann sind die Bedürftigen weitgehend sich selbst überlassen. „Das Hartz IV in Spanien ist die Familie. Viele junge Menschen müssen ihren Eltern auf der Tasche liegen“, sagt Maria del Rosario Fernandez Bravo, Sozialarbeiterin beim Sozialdienst katholischer Frauen.

Bricht die Unterstützung durch die Familie weg — so wie im Fall von Matilde — wird es schwierig. „Im Februar hatte ich alles ausgeschöpft und konnte die Miete nicht mehr bezahlen“, sagt Matilde. Die Eltern und Großeltern ihres Freundes — der Maurer ist ebenfalls arbeitslos — haben lange in Wuppertal gearbeitet und gelebt und sind dann nach Spanien zurückgekehrt. Obwohl Matilde kein Wort Deutsch spricht und noch nie außerhalb Spaniens gereist ist, sieht sie nur einen Ausweg: Mit ihrem Freund nach Wuppertal auszuwandern. Seitdem Angela Merkel bei einem Madrid-Besuch im Februar 2011 um hochqualifizierte Arbeitskräfte warb, gilt Deutschland bei Spaniens „verlorener Generation“ als Alternative. Viele lernen in den Goethe-Instituten Deutsch.

Matilde kommt mit ihrem Freund ohne Sprachkurs nach Deutschland. Ein Verwandter mietet ein Zimmer in Wuppertal an, Anfang April landet der Flieger. Vom sonnigen Andalusien ins kalte und regnerische Wuppertal. Bei der Ankunft gibt es nicht nur einen Temperaturschock: „Die Menschen hier sind ernster und rationaler“, sagt Matilde. Händeschütteln statt Küsschen links und rechts.

Drei Monate darf sich das junge Pärchen in Deutschland aufhalten, um Arbeit zu suchen. Was Wuppertalern mitunter schwerfällt, wird unmöglich ohne Sprachkenntnisse. „Für mich war alles sehr neu, die psychische Belastung ist groß“, sagt die 21-Jährige.

So einer enormen Belastung ist die Beziehung der beiden Spanier nicht gewachsen. Vor zwei Wochen trennen sich Matilde und ihr Freund. Carmen Arco Garcia nimmt sie auf. Die Wurzeln der Wuppertalerin liegen in Andalusien, die Solidarität der Spanier in Wuppertal scheint groß. Und es gibt weitere Lichtblicke: Über Kontakte lernt sie Maria del Rosario Fernandez Bravo kennen. Die Spanierin ist in Wuppertal aufgewachsen und kennt sowohl die Stadt als auch die spanischsprechende Gemeinschaft genau. „Wir waren mal 6000 Spanier in Wuppertal.“ Aber die Zahl wachse wieder. Die Sozialarbeiterin kennt mehrere Spanier, die wegen der Krise nach Wuppertal gekommen sind. Sie versucht, für Matilde Arbeit, Wohnung und Sprachkurs zu finden und hilft bei der Integration.

Nach dem Start mit Hindernissen ist Matilde jetzt optimistischer: „Die Sprache wird besser und ich bin zuversichtlich, dass ich einen Job finden werde.“ Vielleicht klappt es in den nächsten Tag in einem Restaurant. Mit der Anstellung — inklusive Sozial- und Krankenversicherung — könnte sie in Wuppertal bleiben. Ihr Ziel ist eine eigene Wohnung.

„Wenn ich mir hier etwas aufgebaut habe, glaube ich nicht, dass ich zurückgehen werde“, sagt Matilde. Sie hat kein Vertrauen mehr in den Staat: „Die Gesellschaft bricht auseinander, manche Spanier müssen stehlen, um zu überleben.“ Auch wenn Spanien jetzt Schutz unter dem Rettungsschirm sucht, nütze das in erster Linie den Banken. Es fehle dem Land einfach an Industrie und Arbeitsplätzen, zudem sei die Korruption hoch. In einem Punkt denkt Matilde allerdings sehr positiv: „Spanien wird Europameister.“