1934 - als sich die Kirche gegen die Nazis positionierte
WZ-Interview: Welche Bedeutung hatte die Erklärung und was ist davon übrig? Die WZ sprach mit Sigrid Runkel.
Frau Runkel, die Barmer Erklärung als theologisches Fundament der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus jährt sich im Mai zum 75. Mal. Wie kam die Synode nach Wuppertal?
Sigrid Runkel: In der Stadt gab es sehr viele bekennende Christen, alle sechs Theologen der Gemeinde Gemarke gehörten zur "Bekennenden Kirche". Die "Deutschen Christen" waren hitlerhörig, sie verbannten zum Beispiel das Alte Testament aus dem Christentum und Christus wurde nicht mehr als Jude anerkannt. Die bekennenden Christen waren das Gegenteil. Die "Bekennende Kirche" war eine Oppositionsbewegung gegen die Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Evangelischen Kirche mit dem Nationalsozialismus. Deshalb hat Karl Immer, der von 1927 bis 1944 Pfarrer in der Gemarke war, zur Bekenntnissynode nach Barmen eingeladen.
Runkel: Es ist nicht so, dass danach alle aufgestanden sind. Die Erklärung war eine innerkirchliche Positionierung in der sehr schwierigen Zeit des Nationalsozialismus: Es ging darum, wo die evangelische Kirche steht und wie sie sich positioniert. Nicht mehr und nicht weniger.
Runkel: Nein, das ginge zu weit. Aber es gab doch einige Signale: Pfarrer Immer sorgte dafür, dass die Gemeindeglieder über die politische Entwicklung informiert wurden, Flugblätter wurden verteilt. Er hat auch öffentlich dazu aufgerufen, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen: Daraufhin wurde sein Pfarrhaus am Klingelholl 1936 beschmiert: "Hier wohnt der Volksverräter Karl Immer". Paul Humburg, ebenfalls Pfarrer in der Gemarke, hielt die sogenannte "Knospenfrevelpredigt", in der er kritisierte, dass die Jugendlichen auf Hitler vereidigt wurden. Und Pfarrer Robert Steiner (1937 bis 1970 an der Gemarke) lief demonstrativ Arm in Arm mit einem befreundeten Juden über den Werth. Heimlich wurden Theologiestudenten, die keine deutschen Christen waren, beispielsweise in der Villa Halstenbach Am Diek Prüfungen abgenommen. Unter anderem daraus entstand später die Kirchliche Hochschule in Wuppertal.
Runkel: Es gab schon die ersten Judenverfolgungen, aber die Synodalen waren noch nicht so weit, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Man muss klar sagen, es gab auch unter den Mitgliedern der Bekennenden Kirche solche, die sich da schwer taten. In der Vergangenheit war gerade auch in der Kirche viel gegen die Juden gesagt und getan worden.
Runkel: Es gibt viele Begebenheiten, die damit zusammenhängen: Etwa der Bau der Synagoge in unmittelbarer Nähe der Gemarker Kirche: Dabei spielte der Gedanke, dass an diesem Ort viel passiert ist, aber gleichzeitig etwas entscheidendes weggelassen wurde, eine wichtige Rolle. Oder das Projekt Citykirche Barmen, weil es für eine offene Kirche steht. Auch das Nagelkreuz von Coventry, das heute als Zeichen der Versöhnung in der Kirche steht. 1998 kam dann die Zerreißprobe für das Presbyterium in der Gemarke, als 27 Kurden die Kirche besetzten und sich dabei auf die Barmer Erklärung beriefen. Bis heute hat die Erklärung übrigens Bekenntnisstatus: Weltweit werden Theologen auf die Erklärung ordiniert.