Kunst Nachtmalerin der Nordbahntrasse

Barmen · Christine Kersting gestaltet Aquarelle mit Natur- und Stadtmotiven. Jetzt will sie ein Buch über die Nordbahntrasse veröffentlichen.

Christine Kersting hat den Mut zur Farbe erst spät bekommen.

Foto: Fries, Stefan (fri)

. Wenn Wuppertal schläft, malt Christine Kersting. Die 77-Jährige leidet an einer seltenen so genannten Schlafinsuffizienz. Dass sie nur zwei Stunden pro Nacht schlafen kann, habe sie aber längst akzeptiert. „Und dann stehe ich einfach auf und male“, sagt Kersting.

Aquarellbilder sind es. Aus dem Kopf heraus, aus der Fantasie zu Papier gebracht. Noch häufiger überträgt Christine Kersting aber Motive von Fotografien. Von eigenen, wohlgemerkt. Denn fast täglich ist die Seniorin mit ihrer Kamera auf der Nordbahntrasse auf Motivjagd. Mit einer Kamera, die mit einem schnellen Zoom und Fokus punktet.

Diese Funktionen braucht Kersting auch für ihre Lieblinge, für Schmetterlinge und Vögel. „Am liebsten ist mir zum Beispiel der kleine Bläuling“, beschreibt sie einen Schmetterling. Aber der sei schwer zu entdecken. „Nur wenn man erst einmal richtig hinschaut, sieht man unglaublich viel, was da auf der Trasse wächst, kreucht und fleucht“, sagt sie. „Die Motive springen mich dann einfach an“, sagt sie.

Ihr Faible für die Natur aber hatte Christine Kersting damals auch bei ihrer Ausbildung zur Drogistin geholfen. Beispielsweise mussten die Lehrlinge damals eigene Herbarien, Sammlungen von gepressten und getrockneten Pflanzen, anlegen. Ein Leichtes für Kersting.

Eine formale Kunstausbildung habe sie aber nie angestrebt. Für sie habe immer festgestanden, dass sie später Drogistin würde. Nur habe ihr Vater auf einem Auslandsjahr vor der Ausbildung bestanden. Widerwillig sei sie dann nach Frankreich gegangen.

Doch aus einem Jahr wurden plötzlich drei. „Und dass ich dann Französisch studieren wollte, hat meinen Vater nicht begeistert“, sagt Kersting. Im Gegenteil: Ihr Vater habe ihr das Studium nicht zugetraut. Doch Kersting machte ihren Abschluss. „Just for fun“, sagt sie heute mit einem Lachen. „Und auch, um es meinem Vater ein bisschen zu zeigen.“

Sie hätte danach als Dolmetscherin arbeiten können, blieb aber bei ihrer Drogerie-Linie. Bei Leimberg am Wall konnte sie sich diesen Wunsch erfüllen. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen, mit dem sie später jahrzehntelang eine eigene Drogerie betrieb.

Im Alter kam die Lust zu Malen wieder und der Mut zur Farbe

Ihr Auslandsstudium sollte ihr jedoch noch zugute kommen. „Als ich in der Ausbildung kurzzeitig die Leitung der Kosmetik-Abteilung übernommen habe, habe ich den Umsatz von Guerlain-Produkten um das Fünffache steigern können“, sagt sie. Guerlain, ein heute noch bestehender Kosmetik-Konzern aus Frankreich, vertrieb seine Erzeugnisse damals in der Herkunftssprache.

Dank ihrer Französischkenntnisse konnte Kersting die ausländischen Schönheitsprodukte leichter bewerben. Später bekam sogar das französische Unternehmen Wind davon. Und lud Kersting zu einer Kosmetikerinnen-Ausbildung nach Frankreich ein. „Auch wegen meiner Hände“, sagt Kersting heute. „Denn die braucht man für die Gesichtsmassagen“, sagt sie.

Fragt man sie, wie sie heute mit diesen Händen malt, kommen Christine Kersting sofort einige Adjektive in den Sinn. „Ich male fein, grazil, zierlich“, sagt sie. Nicht an einer Staffelei, immer nah im Schein der Lampe über den Tisch gebeugt. Vorzeichnungen und Skizzen mittels Spezial-Bleistift, Aquarelle mit einer eigens entwickelten Technik. „Eigentlich malt man ja bei Aquarell-Bildern nass auf nass“, sagt Kersting. „Ich male aber nass auf trocken.“

Wirklich angefangen habe sie mit der Malerei aber erst vor neun Jahren. Für eine zu bastelnde Geburtstagskarte habe ihr damals das Material gefehlt. Dann habe es sie gepackt und sie habe kurzerhand mit dem alten Schulmalkasten ihres Mannes selbst eine Karte bemalt. „Ich hatte vorher nie Mut zur Farbe“, sagt sie. Diesen Mut hat sie bekommen.

Auch den zur Veröffentlichung. Fünf Ausstellungen hat sie bislang gemacht, jetzt soll als nächstes Projekt noch das Buch kommen. „Und vielleicht ein größerer Schreibtisch“, sagt Christine Kersting mit einem Grinsen. Für große Aquarelle.