Trassenbau: Tolles Projekt, aber Alptraum hinter den Kulissen
Ab März leitet Uwe Seidel das Tiefbauamt Bochum. Zum Abschied spricht der „Herr der Wuppertaler Straßen“ Klartext.
In Zukunft arbeiten Sie als Wuppertaler in Bochum. Werden Sie die Straßen und Brücken hier weiterhin im Blick haben?
Uwe Seidel: Mit Sicherheit. Dafür habe ich die Aufgabe hier zu lange und zu gerne gemacht. So etwas kann man nicht als Privatmann sehen — zumal es auf Brücken und Straßen in den nächsten Jahren ans Eingemachte geht.
Sie glauben, dass sich die Lage noch weiter zuspitzt?
Seidel: Das ist zu befürchten. Noch werden Schlaglöcher in erster Linie als Ärgernis und nicht als Gefahr empfunden. Das wird sich ändern, je größer die Schäden werden: Wenn eine Brücke oder Stützmauer nicht mehr hält, geht es schnell um eine Gefahr für Leib und Leben. Wenn uns weiterhin das Geld fehlt, unsere Straßen vernünftig in Schuss zu halten, wird es nach zwei Wintern dieses Kalibers zu erheblichen Einschränkungen kommen.
In welcher Form?
Seidel: Das könnte so weit reichen, dass Straßen bis zur Reparatur für den Durchgangsverkehr gesperrt werden müssen und nur noch für Anlieger befahrbar bleiben. Wir reden mittlerweile von 200 stark beschädigten Straßen, von denen wir nur 40 abarbeiten konnten. 160 wurden nur geflickt. Allein für die Sanierung der Stadtstraßen fehlen uns gut 130 Millionen Euro — und was wir brauchen, ist ein Konjunkturprogramm allein für unsere Infrastruktur.
Dabei gibt es derzeit immer wieder Berichte über neue Asphalt-Sorten, die länger halten und damit auf Dauer Kosten sparen.
Seidel: Einerseits ist es gut, dass das Thema Straßenschäden gerade in diesem Winter so breit diskutiert wird. Andererseits gibt es Berichte über Heilsbringer, die falsche Erwartungen an „Wunder-Asphalt“ wecken. Es gibt keinen Asphalt, der allen Anforderungen gerecht wird. Gäbe es ihn, würden ihn alle Städte, natürlich auch Wuppertal, einsetzen, das ist doch klar. Mit dem widerstandsfähigeren Asphalt, der an der Bergischen Uni entwickelt wurde und der auf Busspuren wie am Wall und an der Morianstraße zum Einsatz kommt, haben wir gute Erfahrungen gemacht: Die Spurrinnen in konventionellen Belägen sind dreimal so tief wie auf unseren Teststrecken.
Also eine Wuppertaler Erfolgsgeschichte, die anderen Städten gerade jetzt helfen kann?
Seidel: Die Kontakte zur Uni sind gut. Und von unseren Tests profitieren Forschung und Praxis hier gleichermaßen. Alle Städte könnten davon etwas haben, wenn sie sich mit ihren Erfahrungen besser austauschten — und sie würden weitaus weniger Lehrgeld zahlen.
Haben Sie Verständnis für Bürger, die um „ihre“ Brücken kämpfen?
Seidel: Absolut. Das haben wir in der Kohlfurth gesehen, und das sehen wir an der Adlerbrücke. Aber ich befürchte, dass Wuppertal es sich nicht länger leisten kann, alle Wupperbrücken zu erhalten, die in der Blütezeit unserer Stadt entstanden sind.
Was heißt das konkret?
Seidel: Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass man sich gemeinsam und ganz konkret auf markante Wupperbrücken festlegt, die man erhalten muss — wie derzeit die Werther Brücke. Brücken, deren Stahl nach 100 Jahren ermüdet ist und die man sperren muss, weil sie nicht zu retten sind, dürfen nicht noch jahrelang als „Mahnmal“ stehen bleiben, wo sie von der Schwebebahn aus ins Auge fallen. Das hilft niemandem. Da wird noch einiges auf uns zukommen.
Ein großer Lichtblick ist aber die Nordbahntrasse.
Seidel: Unbestritten. Dass die Trase in der Bevölkerung und im Land einen so großen Stellenwert hat, ist gut. Die Abwicklung mit der Wuppertalbewegung ist aber ein Alptraum und etwas, das ich in 20 Jahren bei der Stadt in dieser Form nicht erlebt habe.
Warum?
Seidel: Was die Mobilisierung der Öffentlichkeit und das Gewinnen von Fördermitteln angeht, ist die Wuppertalbewegung Gold wert. Das hätte die Stadt niemals geschafft, keine Frage. Wirklich schlimm ist aber das permanente Misstrauen gegenüber der Stadtverwaltung — auch der Ton in den Gesprächen. Ich frage Sie: Warum sollten wir als Stadt ein solches Projekt ernsthaft blockieren?
Was läuft schief?
Seidel: Aus meiner Sicht ist der Vorstand der Wuppertalbewegung in der anstehenden Umsetzungsphase überfordert — mangels eigener Erfahrungen mit Bauprojekten, und weil die dort mal vorhandenen Fachleute nicht mehr mitwirken. Neben der Nachhaltigkeit von 20 Jahren und mehr, der Verkehrssicherheit für die Nutzer — auch der Verkehrswege unter den Viadukten und Brücken — muss es das oberste Ziel sein, dass alles so korrekt abgewickelt wird, dass Fördermittel-Rückforderungen ausgeschlossen sind. Sie wären der Super-GAU für das Projekt und Wuppertal. Kommt es zu Unfällen, steht die Stadt zuerst in der Verantwortung. Stattdessen gibt es in den Gesprächen eine unnötige Schärfe — und das leider auf beiden Seiten. Ich persönlich gehe davon aus, dass die Trasse 2013 durchgängig befahrbar, aber noch nicht komplett fertig ist. Und gerade bei der Sicherheit gibt es keine Kompromisse.
Ihre Stelle als Abteilungsleiter bleibt erst einmal unbesetzt. Auch für den Ressortleiter gibt es nach wie vor keinen Ersatz. Geht das lange gut?
Seidel: Nein, und das macht nicht nur mir allergrößte Sorgen. Aufgaben wie unsere kann man nicht mal eben mit übernehmen — zumal wir vor großen Herausforderungen stehen, etwa am Döppersberg oder auf der Trasse. Der Druck wird größer, man kann sich da nicht ewig hinter der Wiederbesetzungssperre verstecken.
In Kürze sind Sie als Pendler auf der A 46 unterwegs. Angst?
Seidel (lacht): So wie es aussieht, werde ich das Kreuz Nord morgens noch vor sieben Uhr hinter mir haben und hoffentlich nicht im Stau stehen. Wenn das Autobahnkreuz umgebaut wird, fahre ich anders.