Traumhaft: Kolping-Musical im Opernhaus

„Kolpings Traum“ wird wahr: Das Musical spielt am Originalschauplatz — in Wuppertal. Die Gastproduktion geht zu Herzen.

Wuppertal. Bravo-Rufe von begeistert aufspringenden Zuschauern, die nach dem letzten Ton nichts mehr auf ihren Stühlen hält, und Musicaldarsteller, die angesichts der Reaktionen sichtlich gerührt sind: Besser hätte die Premiere von „Kolpings Traum“ (fast) nicht über die Bühne gehen können. Das zweieinhalbstündige Spektakel ist eine Augenweide, eine spannende Zeitreise und eine Premiere am perfekten Ort: Erstmals wird das Barmer Opernhaus über mehrere Wochen zum Musical-Tempel.

Das einzige Manko macht sich im Ohr bemerkbar: Wäre am Donnerstagabend im nahezu ausverkauften Opernhaus auch noch eine ganze Riege an Live-Musikern gesessen, wäre die zu Herzen gehende Geschichte — ein packendes Plädoyer für Menschlichkeit — wohl nicht zu toppen gewesen. Im Kampf gegen Habgier und Ausbeutung auf ein klanggewaltiges Live-Orchester zu verzichten, ist schade — denn die Sänger sind so gut, dass sie eine entsprechende Unterstützung aus dem Orchestergraben verdient hätten.

Doch auch so wird ein Traum wahr: Wenn Adolph Kolping (Maximilian Mann) am Ende — nicht ohne Rückschläge und Enttäuschungen — seinen Weg vom Schustergesellen zum Priester findet, dürfte wohl jeder verzückt sein, zumindest aber mitgefiebert haben. Gut, man mag es der für ein Gastspiel erfreulich stattlichen Anzahl an Figuren nachsehen, dass sie zuvor die „falsche“ Stadt gerühmt haben („Köln ist meine Stadt — mit ihren tausend Gesichtern“). Kaum haben sie die Domstadt in den Himmel gesungen, nimmt das Elend seinen Lauf: Fabrikarbeiter werden rigoros ausgebeutet — ein Unternehmer, der sich offensichtlich für Gott hält, geht buchstäblich über Leichen.

Versöhnlich stimmt da nicht erst das Finale — wenn Kolping in der Kirche St. Laurentius Trost und Hoffnung spendet. Lokalpatrioten dürfen sich schon früher freuen: „Mein wahres Studium — es begann hier, im Armenviertel in Elberfeld“, sagt Kolping, nachdem es ihn vom Rhein an die Wupper gezogen hatte. Maximilian Mann verleiht der Titelfigur bemerkenswerte Facetten — auch Selbstzweifel. Er spielt überzeugend, allerdings zurückhaltender als Dennis Henschel, der die größte Bühnenpräsenz und die dankbarste Rolle hat: Als Kolpings Freund Karl mausert er sich vom trinkfreudigen Handwerker zum mutigen Aufrührer. Als Familienvater, vom Schicksal und von dem Fabrikanten Karcher (Claus Dam) arg gebeutelt, wird er bis zum 1. September immer und immer wieder im Kugelhagel sterben — im Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit.

Aktuell ist das Thema nach wie vor. Heute wie vor 200 Jahren, als Kolping geboren wurde, stellt(e) sich die Frage, was wichtiger ist — Mensch oder Maschine? Das neueste Stück der Musical-Produktionsfirma Spotlight gibt ein klares Signal: Am Ende zählt allein der Mensch. Für Zuschauer von heute, sofern sie keine Romantiker sind, mag das Ganze womöglich zu viel Pathos haben: Es lebt von Musik, die das Herz berührt, von Textzeilen, die eine unmissverständliche Botschaft haben („Schenkt der Welt ein menschliches Gesicht“, „Unterwerft Euch nicht dem Gott der Industrie“). Es zeigt aber auch die harte Realität und die Opfer der Industrialisierung — eine Balanceakt, der berührt.

Das liegt ganz wesentlich an den grandiosen Darstellern, die — ohne Ausnahme — exzellente Sänger und Schauspieler sind. Das kann auch wiederholtes „Mikro-Knistern“ nicht übertünchen. Nicht nur Claus Dam geht in seiner Rolle als Sklaventreiber, der wie ein Showmaster swingt („Geld regiert die Welt“), sichtlich auf. Auch Sabrina Weckerlin, die Karls Frau Susanne spielt, ist mit viel Herzblut dabei — einfach traumhaft.