Treue Mieterin seit 100 Jahren
Gerda Keine freut sich am Montag über ihren 100. Geburtstag — und wohnt, seitdem sie denken kann, an der Tiergartenstraße.
Wuppertal. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so alt werden würde — das wird wohl an den Genen liegen.“ Das sagt Gerda Keine zur Begrüßung und in aller Bescheidenheit. Große Worte sind ihre Sache nicht, auch wenn sie gleich mehrere außergewöhnliche Geschichten zu erzählen hat. Nicht nur, dass sie heute 100 Jahre alt wird: Ebenso lang lebt die Wuppertalerin schon an der Tiergartenstraße und steht nach wie vor mitten im Leben: „Ich wollte nie hier weg.“
„Mieterinnen auf Rekordkurs“ meldete die WZ bereits vor acht Jahren — damals auch mit Blick auf Gerda Keines Schwester Else Langenberg, mit der sie im Wohnhaus Tür an Tür lebte und die inzwischen gestorben ist. Davon ließ sich Gerda Keine nicht entmutigen. Nach wie vor lebt sie in ihrer Altbauwohnung und greift lediglich auf das „Essen auf Rädern“ und gelegentlich auf eine Putzfrau zurück. „Fürs Grobe“, wie Gerda Keine im Gespräch mit „ihrer“ Zeitung betont: „Den General-Anzeiger lese ich täglich.“
Als sie sich aber eines Morgens nach der Zeitung bückte, fiel sie hin und brach sich die Hüfte. Nach überstandener Operation und einer Reha ging es kurzerhand wieder nach Hause — und nicht in ein Heim. „Was soll ich auch da?“
Dass sie sich für ihre Zeit in der Reha im Krankenhaus zum ersten Mal in ihrem Leben einen Trainingsanzug zulegen musste — und das mit 99 Jahren — lässt auch ihren Sohn Bernd und ihre Nichte Iris Lieb schmunzeln. „Zum Laufen brauche ich aber trotzdem nur einen Stock. “ Die Familienbande blieben im Laufe der Jahrzehnte immer bestehen — und das auch über einen Ozean hinweg: Ihr Sohn Eckhard — 70 Jahre alt und „mein Jüngster“, wie Gerda Keine betont — ruft jeden Tag an und kommt oft aus dem Ruhrgebiet zu Besuch. Ihr ältester Sohn Bernd Keine(74) ruft jeden Mittwoch und Sonntag an — obwohl er seit 1969 in den USA lebt und in der Gegend von San Francisco mit seiner Frau und seiner Tochter zu Hause ist (siehe Kasten).
Alle Versuche, seine Mutter zu sich in die Staaten zu holen, sind bislang gescheitert. „Ich würde zu dolles Heimweh bekommen, vor allem wegen der Schwebebahn“, erklärt die Jubilarin. Und Gerda Keine erinnert sich immer wieder an die Zeiten, als die Familie ihrer Schwester im Erdgeschoss des Wohnhauses noch ein florierendes Lebensmittelgeschäft führte und die italienischen Gastarbeiter regelmäßig die Geschäfte leer kauften, vor allem auf der Suche nach Eiern und Nudeln. Den Laden gaben sie und ihre Schwester dann 1977 ab. Zwei Jahre später wurde er geschlossen.
Wenn Gerda Keine in alten Erinnerungen schwelgt, lässt sie auch hin und wieder in ihre Seele blicken: „Manchmal ist es nicht einfach, wenn es still wird und man Bilder anschaut. Das macht einen traurig. “ Auf die Frage, wie man es eigentlich schafft, so alt zu werden, findet sie im nächsten Moment eine deutliche Antwort und unterstreicht sie mit einem nunmehr 100 Jahre alten Lächeln: „Viel arbeiten und sich nicht streiten.“