Neue Musik: Verein löst sich auf

Die Bergische Gesellschaft für Neue Musik ist Geschichte. Lutz-Werner Hesse, Mitgründer und Vorsitzender, spricht über die Gründe.

Herr Hesse, die Bergische Gesellschaft für Neue Musik (BeGNM) hat sich aufgelöst — nicht wegen eines Streits hinsichtlich künstlerischer Belange, sondern aus personellen Gründen. Weshalb sahen Sie keinen anderen Ausweg?

Lutz-Werner Hesse: Seit der Gründung der BeGNM im Jahr 1997 war ich auch ihr Vorsitzender. Der Vorstand war immer ein gutes, das hervorragend zusammen gearbeitet hat. Als vor zwei Jahren ich und zwei weitere Kolleginnen angekündigt haben, die Ämter aufzugeben, haben wir nach Nachfolgern gesucht. Das ist uns leider nicht gelungen, so dass nur der Schritt der Auflösung blieb.

Sie sind auf vielen musikalischen Feldern aktiv und haben unter anderem in der Musikhochschule und der Konzertgesellschaft Wuppertal zentrale Funktionen. Ist es ein allgemeines Phänomen unserer Zeit, dass es oft einige wenige sehr rührige Mitstreiter gibt, die sich extrem engagieren, dass andererseits aber auch immer weniger Menschen Zeit oder auch Lust haben, sich offensiv einzubringen?

Hesse: Diese Beobachtung ist absolut zutreffend. Ich sehe dieses Problem auch bei anderen Vereinen und denke, dass es zwei zentrale Gründe dafür gibt.

Welche?

Hesse: Es hängt sicherlich einerseits damit zusammen, dass es heute in vielen Bereichen unseres Arbeitslebens Verdichtungen gibt, die ein solches, sehr zeitaufwendiges Engagement in der Tat schwierig machen. Zum anderen ist es aber auch so, dass Menschen bestimmte Dinge durchaus schätzen, sich aber nicht einbringen wollen, da in ihrer Lebensplanung anderes den Vorrang hat. Ich will das gar nicht bewerten, aber das Ergebnis ist, dass solche Initiativen unter Umständen sterben, wenn der Motor nicht mehr da ist.

Wie sieht es bei Ihnen selbst aus? Sie sind ja auch ein leidenschaftlicher Komponist. Bleibt dafür überhaupt noch Zeit?

Hesse: Es gibt natürlich Gründe dafür, warum ich mein Vorstandsamt nach 15 Jahren niedergelegt habe. Ein entscheidender ist tatsächlich der, dass meine künstlerische Arbeit zu sehr leidet. Für jemanden, der sich eigentlich in erster Linie als Komponist sieht, kann es auf Dauer nicht angehen, in diesem zentralen Bereich so reduziert tätig zu sein. Das Komponieren hat ja auch etwas mit Selbstverständnis und „Erfüllung“ zu tun. Andererseits bin ich der Auffassung, dass sich der Künstler am kulturellen Leben beteiligen muss. Will er daran partizipieren, muss er selbst auch aktiv sein. Er muss geben, um auch nehmen zu können.

Die BeGNM hat wertvolle Arbeit geleistet, zu Workshops eingeladen, Konzerte veranstaltet, zu Kompositionen angeregt und vor allem im Zwei-Jahres-Rhythmus die Bergische Biennale für Neue Musik ausgerichtet. Wer soll diese Lücke nun füllen?

Hesse: Die Lücke wird nicht vollständig zu füllen sein. Insbesondere das Festival ist auf absehbare Zeit verloren. Allerdings kann man Teilaspekte sicherlich über andere Veranstalter abdecken. So stehe ich im intensiven Austausch mit Gerald Hacke, dem künstlerischen Leiter der Reihe „Tonleiter“ im Skulpturenpark. In seinen Konzerten spielen die hoch qualifizierten Musiker des BeGNM-Ensembles, Hochschullehrer und Mitglieder des Sinfonieorchesters mittlerweile ganz regelmäßig. Es ist auch meine Absicht, die Musikhochschule stärker in diesen Bereich einzubinden. In Remscheid wird meine Stellvertreterin Ruth Forsbach die Arbeit mit einem sogenannten „Klangfest“ weiterführen. In all diesen Einzelengagements spielt die „bergische Idee“ aber keine Rolle.

Die BeGNM hatte sich — so steht es nach wie vor auf der Homepage — zum Ziel gesetzt, „zeitgenössische Musik zum Klingen und ins Ohr ihres Publikums zu bringen“. Ist dieses Ziel erreicht worden?

Hesse: Ich denke, dass die BeGNM auf das Erreichte absolut stolz sein kann. Unsere Besucherstatistik wurde von Jahr zu Jahr besser. Das heißt, dass die Menschen sich deutlich mehr für die zeitgenössische Musik interessieren als noch vor Jahren und sie in höherem Maße als früher zum musikalischen Angebot einfach dazugehört. Die „Tonleiter“-Reihe profitiert von diesem gewandelten Bewusstsein und kann es, unterstützt von einem so wunderbaren Ort, dem Skulpturenpark, möglicherweise auf neue Zuhörerkreise erweitern. Was wir leider nicht erreicht haben, ist, die Besucher der bergischen Region dazu zu animieren, im Festival „ihre“ Stadt zu verlassen und Konzerte in einer anderen zu besuchen. Wuppertaler blieben in Wuppertal, Remscheider in Remscheid.

Was überwiegt oder bleibt, nachdem die BeGNM nun aufgelöst wurde: eine leise Traurigkeit, eine nüchterne Erkenntnis oder gar Resignation und Frust?

Hesse: Nach 15 Jahren erfolgreicher Arbeit nichts von alledem. Ich bin bekanntermaßen Optimist und der festen Überzeugung, dass die Dinge „ihre Zeit haben“. Das Festival hat ja unsere Arbeitszeit in ungewöhnlicher Weise gebunden. Wenn es das nicht mehr gibt, gibt es vielleicht mehr einzelne Konzerte und damit mehr Kontinuität. Und vielleicht bedarf es einer eigenen Gesellschaft für die zeitgenössische Musik nicht mehr, da diese bei den Zuhörern längst angekommen ist?

Der Winter ist traditionell Hoch-Zeit für Musik und ein Garant für klangvolle Abende. Wuppertal hat nach wie vor ein breites Spektrum zu bieten. Wenn Sie auf den prall gefüllten Konzertkalender dieser Saison schauen: Worauf freuen Sie sich dann am meisten?

Hesse: Ich freue mich auf das nächste Konzert der „Tonleiter-Reihe“ am 30. November, auf Konzerte aus dem Jubiläumsprogramm des Sinfonieorchesters (Anmerkung der Redaktion: das Ensemble feiert in dieser Saison seinen 150. Geburtstag), und auf die zahlreichen Konzerte in „meinem“ Haus, der Musikhochschule, wo bis einschließlich Februar wieder drei bis vier Veranstaltungen wöchentlich stattfinden.