Campus Wuppertal Ihren Meisterdetektiv Poirot ließ Agatha Christie sterben

Der Bergische Anglistik-Forscher Colin Foskett weiß, was ihr Werk so besonders machte.

Die britische Krimi-Schriftstellerin Agatha Christie veröffentlichte 1920 „The Msyterious Affair at Styles“.

Foto: dpa/DB

Mit der Veröffentlichung ihres ersten Krimis unter dem Titel „The Mysterious Affair at Styles“ begann im Oktober 1920 die schriftstellerische Karriere von Agatha Christie. Was macht ihre Werke so besonders?

Colin Foskett: Wie viele Menschen lese ich gern Krimis, und heutzutage sind sie sehr beliebt, zum Beispiel als Reise- oder Urlaubslektüre. Die Vielzahl von Krimis und Krimiserien im Fernsehen ist auch ein Beweis für die Beliebtheit dieses Genres. Und in den 1920er Jahren hatten die Geschichten von Arthur Conan Doyle mit seinem Meisterdetektiv Sherlock Holmes in Großbritannien eine große Leserschaft. Hierbei handelte es sich jedoch oft um Kurzgeschichten, es ging nicht immer um einen Mord, und Sherlock Holmes’ Erfolg als Detektiv beruhte auf genauer Beobachtung und Deduktion. „You can see, but you do not observe“, sagte er einmal treffend.

Eine begeisterte Leserschaft war also 1920 vorhanden, und Agatha Christie hat bereits in „The Mysterious Affair at Styles“ ein sehr erfolgreiches Muster für einen Kriminalroman entwickelt – es geht um Mord, es gibt mehrere Verdächtige (mit Motiven und/oder Alibis), von denen manche lügen oder etwas zu verbergen haben, und einem Ermittler gelingt es nach und nach an die Wahrheit zu kommen und den Mörder zu entlarven, bei Agatha Christie häufig in einer dramatischen Schlussszene mit allen (noch lebenden) Verdächtigen. Der Leser/die Leserin begleitet diesen Prozess, erfährt die vielen „clues“ (manche falsche Fährte darunter) und versucht natürlich selber den Mörder zu erraten, was aber kaum gelingt. So bleibt der Krimi bis zum Schluss spannend.

Unter dem Titel „Das geheimnisvolle Verbrechen in Styles“ erschien der Roman 1929 in deutscher Übersetzung und beinhaltet auch autobiographische Züge. Welche sind das zum Beispiel?

Foskett: Für die Leser spielen autobiographische Züge natürlich überhaupt keine Rolle, aber, wenn man weiß, dass der Roman während des 1. Weltkriegs geschrieben wurde und dass Agatha Christie (1890 geboren) als Krankenschwester in einem Krankenhaus in ihrem Heimatort Torquay belgische Soldaten pflegte und auch Flüchtlinge aus dem von Deutschland besetzten Belgien kennenlernte, ist es klar, woher die Idee für ihren belgischen Ermittler Hercule Poirot kam.

Es ist der erste Roman mit ihrem Ermittler Hercule Poirot, den sie Jahre später in dem Krimi „Der Vorhang“ sterben lässt. Warum hat sie sich schließlich von ihrem Helden verabschiedet?

Foskett: Zuerst etwas zu der Figur Hercule Poirot – eine geniale Idee. Mit Eierkopf, perfekt gestyltem schwarzen Schnurrbart und immer gepflegt gekleidet – so wird er in den Romanen beschrieben. Und viele kennen dieses Erscheinungsbild aus der BBC-Fernsehserie, in der der Schauspieler David Suchet Poirot vortrefflich spielte. Suchet hat als weiteres Merkmal einen tänzelnden Gang mit kleinen Schritten eingeübt und in der Fernsehserie Poirot über einen Zeitraum von 25 Jahren über 70mal gespielt. In den Romanen (im englischen Originaltext) wirkt Poirot als etwas exzentrisch, und der aufmerksame Leser merkt in seiner Sprache einen leichten Einfluss des Französischen (manchmal ist er selber bezüglich der Wortwahl unsicher und entschuldigt sich sogar dafür), was amüsant ist und bestimmt auch zur Beliebtheit der Romane beiträgt.

Für Krimis, die in England spielten, war ein ausländischer Ermittler für die damalige Zeit bestimmt ungewöhnlich. In „Der Vorhang“ („Curtain: Poirot’s Last Case“) der 1975 erschien, stirbt er, nachdem er (wahrscheinlich absichtlich) vergisst, sein lebenswichtiges Medikament zu nehmen, und vermutlich hatte Agatha Christie es einfach satt, immer diesen Poirot als Ermittler in ihren Romanen zu haben. Und hier gibt es eine Parallele zu Arthur Conan Doyle, der Sherlock Holmes ebenfalls, wenigstens zunächst, sterben ließ. In dem Fall war aber die Enttäuschung und sogar Entrüstung unter den Lesern so groß, dass Conan Doyle seine Entscheidung rückgängig machen musste. Holmes hatte den vermeintlich tödlichen Sturz in den Alpen bei dem Kampf mit seinem Kontrahenten Moriarty überlebt und ermittelte wieder in „Der Hund der Baskervilles“ (der ursprüngliche deutsche Titel „Der Hund von Baskerville“ war eine Fehlübersetzung, denn Baskerville ist ein Familienname und kein Ortsname).

Bei Poirot war es allerdings anders, denn „Der Vorhang“ war der letzte Roman, der vor Agatha Christies Tod (ein Jahr später) veröffentlicht wurde. Hercule Poirot ist übrigens eine der ganz wenigen fiktiven Figuren mit einem Nachruf in einer seriösen Zeitung (New York Times im August 1975). Eine Ermittlerin hatte Agatha Christie auch – die ältere Miss Marple – die aber in „nur“ 14 Romanen ermittelte, während Poirot es auf 33 brachte.

Agatha Christie gilt gemeinhin als die Queen of Crime. Was sind die Gründe?

Foskett: Ja, sie gilt als „Queen of Crime“, und die Gründe liegen wohl in der erfolgreichen Anwendung des Musters für einen klassischen Krimi – über 60 Mal. Sie hat als Kind Bücher regelrecht verschlungen und konnte die sehr geschickten Handlungen ihrer Krimis auch sprachlich überzeugend erzählen. Mit klassischen Krimis meine ich übrigens solche, in denen gruselige Details wie brutale Morde mit blutüberströmten Leichen nicht beschrieben werden.

Vergiftung ist eine häufige Methode, und Nachweise anhand von akribischen forensischen Untersuchungen, wie sie heute möglich sind, kommen nicht vor und gab es wohl kaum zu der Zeit. Es geht um die Personen und um die möglichen Motive für einen Mord. Diese „Queen of Crime“ hatte und hat etliche Nachfolgerinnen (vielleicht „Thronfolgerinnen“), die ihre Muster angewendet und in moderneren Krimis weiterentwickelt haben. Man denke zum Beispiel an P.D. James (mit dem Ermittler Adam Dalgleish) und Ruth Rendell (Inspector Wexford) oder an Elizabeth George (Inspector Lynley) oder Martha Grimes (Richard Jury). Übrigens, obwohl Amerikanerinnen, spielen die Krimis der beiden letztgenannten Autorinnen in England.

Abschließend noch eine kleine Leseempfehlung: Welcher Christie-Roman ist ihr persönlicher Favorit?

Foskett: Murder on the Links“ („Mord auf dem Golfplatz“) war vielleicht mein erster Christie-Roman, aber einen Favoriten habe ich nicht, denn ich lese selten einen Krimi mehr als einmal. Enttäuscht war ich allerdings bei Agatha Christie nie. Als Verkaufsschlager gilt wohl „And Then There Were None“ (den ich las, als er einen anderen Titel hatte, der heute politisch unkorrekt wäre). Das Besondere an diesem Krimi ist, dass am Ende keine(r) der ursprünglich Verdächtigen noch lebt. Wer wissen will, wie das funktioniert, soll diesen spannenden Krimi lesen.

Einige Krimis von Agatha Christie in englischer Sprache findet man übrigens in der Universitätsbibliothek (unter anderem „The Mysterious Affair at Styles“). In diesem Jahr erschien der Roman zum Jubiläum übrigens unter dem bereits 1959 geänderten Titel „Das fehlende Glied in der Kette“ in einer Neuauflage.