Begrabt mein Herz in Wuppertal Besser Locken ab als Lockdown

Unser Kolumnist Uwe Becker über intime Gespräche und komplexe Frisuren.

 Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien.

Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien.

Foto: Joachim Schmitz

Ab kommenden Montag können die Friseurgeschäfte wieder öffnen. Einige fahren aber erst am Dienstag ihren Betrieb wieder hoch. Der Montag bleibt bei den Traditionalisten weiterhin ein arbeitsfreier Tag. Wahrscheinlich ist der Andrang in der kommenden Woche so groß, dass viele von uns erst in ein paar Jahren einen Termin bekommen. Wenn ich 65 Euro auf den Frisiertisch blättern würde, so viel bezahlt die Kanzlerin, bekäme ich beim Promi-Friseur Udo Walz garantiert innerhalb von wenigen Stunden einen Termin. Obgleich er bei diesem Preis Frau Merkel wohl höchstens frisiert oder streichelt.

Nicht jeder nimmt einen Fachmann für seinen Haarschnitt in Anspruch. Als ich kürzlich eine Podiumsdiskussion der Oberbürgermeister-Kandidaten von Wuppertal im Livestream sah, dachte ich direkt, dass alle Herren an ihren Haaren anscheinend selber herumschnibbeln. Im Höchstfall legt da noch die Partnerin oder eine Bekannte mit Lust und wenig Talent Hand an. Aber bestimmt geht keiner der Kandidaten zum Friseur, weder Uwe Schneidewind, noch der amtierende OB Andreas Mucke, Bernhard Sander oder Panagiotis Paschalis. Tut mir leid, aber das sieht bei keinem der Kandidaten wirklich schön aus.

Leider ist bei der Wahl, die voraussichtlich im September stattfinden soll, keine weibliche Kandidatin dabei. Wo wir doch damals mit der Sozialdemokratin Ursula Kraus eine so wunderbare First Lady hatten. Sie erinnerte mich mit ihrer warmherzigen Entschlossenheit, ihrem Gestaltungswillen und ihrer hübschen Frisur an meine liebe Mutter. Marcel Hafke, der Kandidat der FDP, war noch nicht nominiert, daher fehlte er bei der Diskussionsrunde. Allerdings sah ich kürzlich ein Foto von ihm in der Zeitung, und ich glaube, da ist auch nicht mehr viel zu retten. Hier ist wohl seine Frau ab und an mit der Bastelschere der Kinder im Einsatz, um hier und da ein paar Spitzen zu schneiden. Nein, auch Herrn Hafkes Haarschnitt ist mangelhaft.

Meine Frisur dagegen ist hochkomplex und in der Herrichtung und Beschneidung anspruchsvoll. Da muss schon eine äußerst talentierte Fachkraft wie mein Felix aus dem Luisenviertel ans Werk schreiten, wenn es vortrefflich gelingen soll. In meiner Kindheit kam ja der Friseur alle sechs Wochen ins Haus, um meinem Vater und uns Kindern die Haare zu schneiden. „Onkel Peter“ kam um 17 Uhr. Er arbeitete als Geselle in einem Salon auf dem Ölberg. Nach Feierabend verdiente er sich in Barmen noch was dazu. Im Osten der Stadt konnte ihm sein Chef nicht so schnell auf die Schliche kommen. Meine Mutter ging einmal im Monat in einen Damen-Salon, wo man ihr eine Dauerwelle verpasste. Mutters Haare rochen dann schlimm und fühlten sich ganz hart an. Wenn sie mich in den Arm nahm, hielt ich mir die Nase zu. Ihr Haarspray war bestimmt hochgiftig. Meine ganze Familie ist inzwischen tot. Aber aus anderen Gründen.

Vor einigen Tagen habe ich aus Spaß einmal aufgelistet, wie viele Haarkünstler bei mir schon die Schere angesetzt haben. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Dass ich so viele Friseure in meinem Leben hatte, war mir gar nicht bewusst. Die Anzahl ist wirklich erschreckend hoch. Warum habe ich so oft gewechselt? Gut, als ich jung war, musste ich mir die Hörner abstoßen, aber später? Onkel Peter kam irgendwann nicht mehr, weil ich meine Haare lang tragen wollte. Es gab auch Läden, die pleite gingen. Ein Wohnungswechsel war auch ein Grund, um ein anderes Friseurgeschäft zu favorisieren. Mit der fachlichen Beratung war ich immer durch die Bank zufrieden. Alle Frisuren meines Lebens waren recht hübsch anzusehen. Mit der Treue hatte ich es wohl nicht so sehr. In schöner Erinnerung werden mir aber die zahlreichen guten Gespräche bleiben, die ich im Friseursalon führen durfte.

Ich erinnere mich an einen Friseur, es muss in den 1980er Jahren gewesen sein, dem ich alles erzählen konnte. Auch sehr intime Dinge. Ich war erstaunt, dass ich so offen war, kannte ich ihn doch gar nicht so gut. Er dagegen sagte fast nichts, aber wenn er was sagte, dann war es ziemlich gut. Albert Einstein soll einmal gesagt haben, „Alles, was ich weiß, erzählte mir mein Friseur!“ Ich bin jedenfalls froh, wenn die Geschäfte nächste Woche wieder auf haben. Besser Locken ab, als Lockdown, oder?