Begrabt mein Herz in Wuppertal Geschichten aus der Warteschlange

Wie unser Kolumnist vier Stunden Warten am Postschalter überbrückt.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Vor einigen Jahren musste ich ein Paket von der Post abholen. Sie haben sicherlich Verständnis, wenn ich über den Inhalt der Sendung und den Empfänger kein Sterbenswort verliere, da es für die Geschichte nicht wichtig ist. Besser gesagt, es macht meine Erzählung nicht unbedingt interessanter. Auch ist der Datenschutz in der heutigen Zeit ja immer wieder ein Thema. Das Ereignis fand im Jahre 2004 statt, und ich muss zugegeben, dass ich auch nicht mehr weiß, was in dem Paket war.

Mein einziger Gedanke, der mich damals auf dem Weg zur Postfiliale begleitete, war, sie werden es sicher schon ahnen: „Hoffentlich ist es nicht so voll!“ Diese Hoffnung starb bereits, als die Filiale der Post in der Ferne sichtbar wurde. Die Postkundschaft stand mit ihren kleinen und großen Paketen in einer langen Schlange, die mir endlos erschien. Mein Vorhaben auf den kommenden Tag zu verschieben verwarf ich, da bereits ein Termin beim Einwohnermeldeamt vereinbart war, sowie die Abholung eines Rezeptes bei meinem Hausarzt nicht aufgeschoben werden konnte.

Als ich die Filiale der Post erreichte, war die Anzahl der Wartenden nicht kleiner geworden. Auf den letzten Metern hatten mich noch zwei Menschen flotten Schrittes überholt. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Es war nun an der Zeit, mich richtig darüber aufzuregen, dass ich am Tag, als die Post mir das Paket zustellen wollte, nicht Zuhause war. Der Ärger darüber verflog aber rasch, da sich jetzt auch noch ein kleiner Regenschauer ankündigte. Wie lange wohl, dachte ich. Damals hatte ich noch kein Smartphone zum Zeitvertreib.

Mein Blick fiel dann auf den hübschen Hals der Frau, die vor mir stand. Sie hatte einen pfiffigen Kurzhaarschnitt. An einer Haarspitze hing ein Regentropfen, der sich partout nicht lösen wollte. Ich half ein wenig nach, in dem ich den Regentropfen mit meinem Zeigefinger leicht berührte. Die Frau zuckte ein wenig, als das kleine, feuchte Tröpfchen auf ihrem Nacken zerplatzte. Keine große Sache, aber mir gefiel es.

Nach einiger Zeit war ich weiter vorgerückt. Ich war nun aber im Inneren der Filiale angelangt, ein Segen, da es inzwischen stärker regnete. In Gesprächen, die ich belauschte, wurde vermutet, dass auch ein Gewitter im Anmarsch sein könnte. Immerhin hatte man jetzt aber die Möglichkeit, zwischen drei Warteschlangen zu wählen, da die gleiche Anzahl an Schaltern geöffnet war. Da mir keiner der hier wie ich wartenden Postkunden auf den ersten Blick unsympathisch erschien, überlegte ich, ob ich eine Polonäse vorschlagen sollte, um uns allen etwas Abwechslung zu verschaffen. Mir fehlte aber der Mut, um wildfremden Menschen so etwas völlig Verrücktes vorzuschlagen. Da mich auch ein älterer Herr aus der Nachbarschlange ganz ernst anschaute, als ob er meine Gedanken hätte lesen können, wandte ich mich anderen Überlegungen zu.

Um etwas Zeit zu überbrücken – ich war nun schon fast zwei Stunden bei der Post – holte ich meine Paketkarte aus der Jackentasche, betrachtete sie sorgfältig, las mir nochmal alles genau durch, begradigte ein Eselsohr, um sie hiernach wieder einzustecken. Ich überlegte, ob nicht schon sieben Werktage vergangen waren und das Paket vielleicht bereits wieder zurück an den Absender geschickt wurde. Nein, es waren noch keine sieben Werktage vergangen. Ich war mir da sicher.

Plötzlich schloss einer der drei Postschalter. Hierdurch wurden die beiden verbleibenden Warteschlangen wieder etwas länger. Auf Nachfrage einiger verärgerter Kunden erklärte man uns, es wäre jetzt Mittagspause für diesen Kollegen. Eine ältere Dame rief erregt: „Ich hab’ auch Hunger!“ Ich stellte mir vor, wie der Beamte hinter der Stellwand sein Butterbrot verschlang und dabei die heftige Kritik an seiner Mittagspause hören konnte. In meinem Gedanken solidarisierte ich mit dem traurigen Beamten.

Erstmalig, nach nun gut vier Stunden, kam ich mit einem anderen Postkunden meiner Schlange ins Gespräch. Da ich merkte, dass mein Gesprächspartner mit seinem Latein schnell am Ende war, erzählte ich ihm meine schönste Postgeschichte: Ich war damals auf dem Weg zur Post, musste aber kein Paket abholen, sondern eins hinbringen. Mein Onkel aus dem Schwarzwald hatte seinen teuren Knirps bei mir vergessen. Als es auf dem Weg zur Filiale fürchterlich zu regnen begann, riss ich das Paket auf, entnahm den Knirps, spannte ihn auf und ging wieder nach Hause.