Vobeugung: Ohne Gewalt lernen Schüler besser

Warum eine Realschule in Barmen ein neues Konzept der Polizei übernommen hat.

Krefeld. Christian Neumann ist einer der ganz wenigen, die mitmachen. Nicht weil es an der Realschule an der Leimbacher Straße in Barmen - dort ist Neumann stellvertretender Direktor - ein größeres Problem mit Gewalt unter Jugendlichen gibt, als anderswo in Wuppertal. Neumann hat sich überzeugen lassen. Von einem Konzept, das die Polizei seit eineinhalb Jahren versucht, in den rund 60 weiterführenden Schulen Wuppertals zu installieren.

Die Idee ist einfach: Wer verpflichtet ist, Erlebtes aufzuschreiben, muss vorher seinen Grips anstrengen. Feiner ausgedrückt: Er muss vor dem Schreiben über das Erlebte reflektieren. Das genau wird seit diesem Schuljahr in der Realschule an der Leimbacher Straße praktiziert, wenn’s unter den Schülern handfesten Streit gibt.

Christian Neumann, stellvertretender Leiter der Realschule Leimbacher Straße

Der Clou daran: Der Blick richtet sich vor allem auch auf die Opfer. Die sollen gestärkt werden, den Mut finden, den Finger zu heben. Realschul-Lehrer Neumann sagt: "Wegschauen gilt bei uns nicht. Wir wollen Transparenz. Die Gewalt darf nicht im Verborgenen bleiben. Erst das macht die Gewalt stark." Beim neuen Konzept sind Opfer, Täter, Eltern und Lehrer gleichermaßen gefordert. Sie alle sollen sich Gedanken machen, warum ihre Kinder, Schüler, Freunde zu Tätern beziehungsweise Opfern wurden. Für Neumann liegt der positive Effekt auf der Hand: "Streitfreie Schüler sind konzentrierter, nehmen besser am Unterricht teil und sind so besser ausgebildet."

Auf den ersten Blick sind die Zahlen alarmierend: Im Schnitt werden 500 Mal pro Jahr Kinder und Jugendliche in Wuppertal zu Räubern. Die Dunkelziffer dürfte ungleich höher sein. Die schlechten Zahlen spiegeln ein Negativ-Phänomen der modernen Jugendkultur: das so genannte Abziehen. In Gruppen suchen sich Jugendliche zumeist jüngere Opfer, nehmen ihnen wahlweise Mobiltelefon, Geld oder Zigaretten ab. Wer nicht spurt, bekommt Schläge.

Für Michael Dreiseitel, Jugendbeauftragter der Wuppertaler Polizei, ist es einer der Hauptaufgaben, dem vermeintlich lässig-kühlen Schein des "Abziehens" entgegenzuwirken: "Das ist ein glasklares Raubdelikt, und wird auch so bestraft." Zwei bis dreimal in der Woche besucht er Schulen in Wuppertal, spricht vor Klassen zum Thema Raub und die Folgen.

Michael Dreiseitel, Jugendschutzbeauftragter der Wuppertaler Polizei

Dreiseitel: "Oftmals machen die Jugendlichen große Augen. Abziehen gleich Raub? Das haben wir nicht gewusst, höre ich oft." Zu Dreiseitels Schulprogramm gehören auch regelmäßige Treffen mit Lehrern und Eltern. Themen sind dabei unter anderem die Auswirkungen, die Dauer-Fernseh-Glotzen, Mobiltelefone und Gruppenzwang auf Jugendliche haben können.

Das Wichtige daran: Die Schulen sind bei den neuen Anti-Gewalt-Konzepten mit im Boot. "Die Zeiten, in denen das Thema Gewalt von den Schulleitungen totgeschwiegen wurde, sind vorbei", sagt Dreiseitel.

Enttäuschend ist allerdings die Resonanz auf die Anti-Gewalt-Strategie der Polizei. Neben der Realschule an der Leimbacher Straße hat bislang nur eine weitere Schule das Konzept eingeführt. Dabei hatte Dreiseitel so ziemlich alle weiterführenden Schulen angeschrieben. "Offenbar ist der Leidensdruck noch nicht groß genug", sagt er dazu. Auch hätten Ausländer mit der verschriftlichten Konfliktlösung zuweilen Schwierigkeiten. Aufgeben gilt nicht. Im März steht eine alljährliche Fachtagung auf dem Programm, zu der auch wieder viele Lehrer eingeladen sind. Thema: "Sicher an unserer Schule."

Vorreiter Christian Neumann von der Realschule an der Leimbacher Straße sieht seine Schule dank des neuen Konzeptes längst auf einem guten und gewaltlosen Weg: "Bei uns wird das gelebt."