Von Hühnern und Dämonen
Die Studentin Julia Weidner pendelt zwischen Wuppertal und Mexiko, lernt andere Kulturen kennen – und sich selbst.
Wuppertal. Julia Weidner zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht, wie ich mich fühle", sagt sie, klickt schnell noch auf "E-Mail versenden", bevor sie aufsteht, in die Küche schlurft und Kaffee kocht.
In ein paar Tagen geht es wieder los, das Ticket ist gekauft, Planänderungen sind nicht mehr möglich. "Im Moment würde ich am liebsten hier bleiben," gibt Julia zu. Mit kurzem Jeans-Rock, lackierten Fingernägeln und den zu großen Borussia-Hauspuschen sieht sie nicht gerade aus wie eine Abenteurerin.
Von Beruf ist Julia Weidner Ethnologin. Nach ihrer Abschlussarbeit im vergangenen Winter reiste die 38-Jährige für zehn Monate in das mexikanische Chiapas, um dort bei einer Hilfsorganisation zu arbeiten. Nach zwei Wochen Heimaturlaub im im Tal steht sie nun wieder vor dem Aufbruch - um ihre Arbeit dort zu Ende bringen.
Julias Spezialgebiet ist die indigene Medizin, also die Heilkunst eingeborener Völker. Sie will in Chiapas die traditionelle Heilkunst der Eingeborenen verstehen lernen - um sie in den Aufbau eines menschenwürdigen Gesundheitssystems vor Ort zu integrieren. Ein bisschen Geld hat sie gespart, für drei Monate zirka, dann will sie weitersehen.
In vielen Teilen Mexikos, so die gelernte Krankenschwester, sei die medizinische Versorgung unzureichend - insbesondere im Süden des Landes. Julia Weidner und ihre Mitstreiter versuchen bei ihrer Arbeit allerdings, die Traditionen der Eingeborenen anzuerkennen.
"Wir arbeiten mit den traditionellen Heilern und Hebammen aus den Dörfern zusammen, aber stülpen ihnen kein westliches Medizinerwissen auf." Zumal eine andere Kultur habe auch ein anderes Verständnis von Krankheit haben: "Envidia(Neid) zum Beispiel könne kein deutscher Arzt behandeln."
Die Ursache für dieses Leiden sehen die Heiler in zwischenmenschlichen Problemen - bei der Familie oder der Dorfgemeinschaft. Im Westen läuft so etwas unter Psychosomatik - bei den Indianern therapieren die Heiler, die als Auserwählte Gottes gelten, das Leiden in Form althergebrachter Rituale.
Gebete, Kerzen, Weihrauch, Kräuter, Schnaps oder Limonade sind die Arznei. "Bei einer Zeremonie werden lebende Hühner über dem Körper des Kranken geschwungen, um den Dämon von Mensch auf Tier zu übertragen", sagt Julia Weidner, als wäre das selbstverständlich.
In Seminaren tauscht Julia ihr medizinisches Wissen den einheimischen Heilern aus. "Die Menschen sind sehr schüchtern und misstrauisch, nach 500 Jahren Kolonialzeit gilt es, Vertrauen aufzubauen." Das geht nur in kleinen Schritten: "Wir nähern uns an. Für sie bin ich ein Kuriosum: Blond, eineinhalb Köpfe größer, 38, kinderlos. Oft amüsieren sie sich, kichern, wenn ich mich beispielsweise mit Gummistiefeln und hochrotem Kopf durch den Schlamm kämpfe."
Menschen zu helfen bedeute zunächst, sie zu begreifen, ihre Kultur kennen zu lernen - das ist der Ethnologin wichtig. Schon während des Studiums ist Weidner deshalb nach Mexiko gereist. Zwei Urlaubssemester hat sie in den Krankenhäusern der Zapatistas verbracht, einer Guerillabewegung, die für die indianischen Bevölkerung kämpft. Gefährlich fand sie das nicht - es sei einfach eine andere Welt; auf Komfort müsse man schon mal verzichten.
"Ich bin keine Mutter Theresa", betont sie. "Es geht auch um mich". Das spannendste sei doch zu sehen, wie Menschen leben, was für verschiedene Lebenskonzepte sie haben. "Je mehr ich über sie erfahre, desto klarer werden auch die eigenen kulturellen Regeln - ich lerne also auch über mich selbst."