Vortragsreihe der Freunde und Alumni der Bergischen Universität und der Westdeutschen Zeitung „Gesundheit liegt nicht allein am Geld“
Wuppertal · Schon Friedrich Engels wusste, dass Gesundheit nicht allein ein Thema für Mediziner ist.
Besser gebildete, reichere und in der beruflichen Hierarchie höher stehende Menschen sind zeitlebens gesünder und leben länger als andere. Diese Erkenntnis ist erschreckend, aber nicht neu. Vielmehr baute schon Friedrich Engels in seiner Frühschrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ auf Zahlenmaterial, das auf der Insel von Untersuchungskommissionen erarbeitet worden war. Allein die Erkenntnis, dass „die medizinische Wissenschaft eine soziale Wissenschaft ist“ (Salomon Neumann, 1849) änderte am Missverhältnis bis heute nichts.
In den USA geht die Lebenserwartung 25-Jähriger abhängig von der Bevölkerungsschicht immer weiter auseinander. 6,3 Jahre beträgt der Unterschied zwischen Armen und Reichen. Und während in England und Deutschland zur Zeit der Frühindustrialisierung vor allem die Wohn- und Lebensverhältnisse den Unterschied ausmachten, so sind es heute ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel, die zu chronischen Erkrankungen führen.
Problem erkannt, Problem gebannt? Davon kann keine Rede sein, erklärte Prof. Hendrik Jürges in seinem Vortrag „Ungleichheit in der Gesundheit“ in der Reihe Unital. Schon Friedrich Engels habe kritisiert, dass die Ergebnisse der Untersuchungskommissionen in Städten wie Preston zu keinen Verbesserungen führten. Engels kritisiere die untragbaren Verhältnisse vor allem in den Städten, sehe aber auch eine Mitschuld bei der arbeitenden Klasse. „Den Arbeitern warf er Zügellosigkeit, Genusssucht und Mangel an Weitsicht vor“, sagte der Lehrstuhlinhaber für Gesundheitsökonomie an der Bergischen Universität.
Für seine Zuhörer in der Citykirche lieferte Jürges eine ernüchternde Analyse. Von Verbesserungen vor allem in der Gesundheitsprävention profitierten die reicheren und gebildeteren mehr als arme und bildungsferne Schichten. So sei die Lebenserwartung zwar für alle gestiegen, aber die Schere zwischen Arm und Reich klaffe weiter auseinander. „Es liegt nicht allein am Geld. Trotz kostenloser Bereitstellung nehmen Kinder aus Familien mit niedrigen Einkommen seltener an vorbeugenden Maßnahmen teil“, so Prof. Jürgens. Der Vorwurf einer Zwei-Klassen-Medizin sei unberechtigt. „Es gibt bei uns keine Rationierung von medizinischen Leistungen“, sagt Prof. Jürges. Der Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatient könne allerdings daran liegen, dass der eine zwei und der andere acht Wochen auf die Überweisung zum Facharzt warten müsse.
In der Diskussion wurde der Einfluss von Rauchen, Schlaf und übermäßigem Gebrauch von Salz und Zucker angesprochen. Während die Politik Zigarettenwerbung verboten und Tabakwaren für Kinder und Jugendliche mit Erfolg unzugänglich gemacht hat, gibt es dies bei süßen Versuchungen nicht. Wie Studien zeigen, sind auch hier Milieus und Gruppen unterschiedlich betroffen. In Portugal wird daher eine Zuckersteuer auf Limonade erhoben, und in Spanien plant die Regierung ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für Süßigkeiten.