Literatur Das neue Werk „Wendisches Sommergewitter“ vom Wuppertaler Autor Michael Zeller: Eine Erzählung zur Zeit des ersten Atommüll-Transports nach Gorleben

Wuppertal · Wuppertaler Autor Michael Zeller war bei der neuen Folge des WZ-Literatur-Podcasts „Wuppertaler Auslese“ zu Gast.

Der Wuppertaler Autor Michael Zeller hat nun sein neues Werk „Wendisches Sommergewitter“ veröffentlicht.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Michael Zeller als Schriftsteller zu bezeichnen, ist auch für Literaturkenner mehr als eine Binse. Denn wenn der 78-jährige Wuppertaler vom Schreiben erzählt, dann merkt man, dass es ihm verdammt ernst damit ist: „Ein echter Schriftsteller muss im Prinzip 24 Stunden am Tag an seinen Texten arbeiten, das geht einfach nicht nebenbei“, sagt er und macht damit klar: Schreiben, das ist für ihn selbst gewählter Daseinszweck.

Ums Schreiben geht es auch in Zellers neuestem Buch „Wendisches Sommergewitter – eine Künstlernovelle“ (Rote Katze Verlag) – wenn auch nicht auf den ersten Blick. Die kurze Erzählung dreht sich um den Autor Carlo Andrich, der 1995 als Stipendiat in Schreyahn, einem kleinen Dorf im niedersächsischen Wendland, strandet, um dort zu arbeiten. Überschattet wird sein Aufenthalt dabei vom ersten Atommüll-Transport in das nahegelegene Gorleben. Und so findet sich der aufstrebende Künstler plötzlich als stiller Beobachter zwischen Demonstranten, aufgebrachten Dorfbewohnern und Polizisten wieder.

Doch diese Rahmenhandlung dient Zeller nur als Aufhänger. Eigentlich geht es ihm um etwas anderes. „Mit dem Buch möchte ich vor allem zeigen, wie ein freier Schriftsteller lebt und was er von morgens bis abends treibt“, sagt er. „Denn was es heißt, freier Künstler zu sein, darüber ist in der Gesellschaft wenig bekannt.“

Dass das Werk autobiografisch ist, ist kein Geheimnis. Zeller war 1995 tatsächlich in dem Örtchen und hat das Geschehen rund um den Castor-Transport hautnah verfolgt. Alles andere wäre auch eine Überraschung. Denn: „Ich kann mit erfundenen Geschichten nichts anfangen. Meine ganzen Bücher sind von meinen Lebenserfahrungen geprägt“, sagt er. „Und so sollte es meiner Meinung ja auch sein: Die Literatur soll aus dem Leben kommen und nicht aus dem Kopf.“

Zu den Demonstrationen ist Zeller mit dem Fahrrad gefahren - oder mit dem Bus, „weil ein freier Künstler normalerweise kein Auto besitzt.“ Seine Erlebnisse hielt er in Tage- und Notizbüchern fest – für später, für heute. Dass der Autor Andrich, seine Hauptfigur, eher schemenhaft bleibt und die Ereignisse meist nur von außen verfolgt, ist kein Zufall. „Ich will damit zeigen, dass Künstler keine Teilnehmer sind, sondern sie beobachten genau und kritisch, was in der Gesellschaft vor sich geht, ganz ohne eigene Interessen“, sagt Zeller.

Er selbst habe damals sowohl für die Demonstranten, als auch für die Polizisten Sympathien gehegt, sich auf keine Seite geschlagen. Dass die Proteste gegen den Castor-Transport in vielen Medien als gewalttätig abgestempelt wurden, kann Zeller nicht nachvollziehen. „Ich habe mich doch sehr gewundert, was zu der Zeit in den Zeitungen stand, aber der Protest im Wendland war aus meiner Sicht friedlich.“ Hier einen anderen Blick auf das Geschehen zu liefern, darin sieht Zeller die Aufgabe des Künstlers, des politischen Schriftstellers, der er nun einmal ist. „Ich finde, das ist sehr kostbar für eine Gesellschaft, ein Gratisdienst, für den uns keiner bezahlt“, sagt er. „Wir machen das einfach aus Leidenschaft – oder weil wir einen Schlag haben.“

Über 30 Jahre sind seit den Ereignissen um den Castor-Transport vergangen. Dass die Erzählung erst jetzt herauskam, hat allerdings gute Gründe. Obwohl das Buch angesichts der Diskussion um die Atomkraft in Deutschland und Europa kaum aktueller sein könnte. Aids, der Deutsche Herbst, Konflikte in Osteuropa: Zeller hatte einfach drängendere Probleme vor der Brust, die es literarisch aufzuarbeiten galt. „Aber jetzt, wo ich schon ein etwas fortgeschrittenes Alter erreicht habe, wollte ich mir erlauben, auch einmal von mir zu schreiben. Aber nicht von mir als Person, sondern vor allem über den Beruf des Schriftstellers.“ Denn von diesem hätten viele Leute immer noch eine falsche Vorstellung.

„Jeder Fußballer, der seine Erinnerungen schreiben lässt, nennt sich Schriftsteller, und auch jeder Lehrer, der ein Gedichtbändchen veröffentlicht, nennt sich Schriftsteller, aber das ist es alles nicht“, sagt Zeller. „Lothar Matthäus möge mir verzeihen, er war ein guter Fußballer, aber ein Schriftsteller wird er nie werden.“

Zeller ist 1944 in Breslau im heutigen Polen geboren. Die Flucht aus der Stadt, das Aufwachsen in der Fremde, der Verlust des Vaters, der im Krieg gefallen ist. All das hat den Weg des späteren Schriftstellers vorgezeichnet. „Ich denke schon, dass die Kunst überwiegend aus Defekten, aus Mangelsituationen entsteht“, sagt er. „Ich kenne mehr Leute, die persönliche Probleme hatten und dann zur Kunst gekommen sind, als Menschen mit glatten Biografien.“

Zeller hat es als Schriftsteller geschafft. Seit der Veröffentlichung seines ersten Romans im Jahre 1978, hat er über vierzig Bücher, Erzählungen, Gedichte und Essays verfasst. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Kulturpreis der Stadt Wuppertal. Trotzdem würde er den Beruf des Schriftstellers nicht unbedingt empfehlen. Zu groß sei die Verantwortung. „Man muss ja auch von etwas leben und von diesen Büchern kann man nicht leben“, sagt er. „Und ein junger Mensch, der das machen will, der braucht auch keine Empfehlung, der macht das sowieso.“