Kinder Sozialpädagogin Bettina Böll bringt Kindern in Wuppertal bei, sich im Ernstfall zu wehren

Wuppertal · Drei Fragen helfen, sich zu verteidigen.

Bettina Böll (l.) übt mit den Kindern, wie sie sich selbst verteidigen können.

Foto: Andreas Fischer

Der achtjährige Richard-Thilo richtet sich auf, spannt sich an und schickt sich an, seinen Weg zu gehen. Da wird er attackiert, man will ihm sein Handy abnehmen, droht mit Gewalt. Die Situation ist ein Rollenspiel im Rahmen des Sicherheitstrainings für Kinder, das jetzt in der Kulturschmiede in Cronenberg stattfand.

Zwei Vormittage lang trainierte Sozialpädagogin Bettina Böll mit einer kleinen Gruppe von Kindern im geschützten Raum des Kulturvereins, wie sie sich in bedrohlichen Situationen am besten verhalten, wie sie Hilfe holen und deeskalieren können. „Es ist ganz wichtig, dass wir Bedrohungssituationen im Rollenspiel üben. Durch die Erziehung sind Kinder in solchen Situationen eher defensiv, wollen die Attacke über sich ergehen lassen“, erläutert die Expertin für Anti-Aggressionstraining und Befürworterin der konfrontativen Pädagogik.

Ein offensives Verhalten ermögliche den Angegriffenen, einen Teil der Kontrolle zurückzubekommen, lautes Schreien entlaste das Opfer und führe dazu, dass eventuelle Traumata später weniger belastend seien, so Bettina Böll. Pöbeleien auf dem Schulweg, Erpressungsversuche in der Pause, angedrohte Prügel, Angriffe, Mobbing, Raub und sexuelle Übergriffe – die Liste möglicher Gewaltattacken von und gegenüber Jugendlichen und Kindern ist lang, und Bettina Böll ist besorgt, wenn sie die Entwicklung in der Gesellschaft sieht.

Es sei eine alarmierende Tendenz bei Kindern und Jugendlichen hinsichtlich Gewalt und Aggression zu beobachten, Ursachen dafür gebe es verschiedene. Beispielsweise gebe es keine Tabus mehr. Gewaltexzesse seien für Kinder und Jugendliche im Internet verfügbar. Vieles verkrafteten die Seelen gar nicht, so Böll. Auch die immer stärker auseinanderklaffende soziale Schere sei ein Grund dafür, dass benachteiligte Kinder oft gewaltsam und aggressiv versuchten, Frust und Defizite zu kompensieren.

Deshalb sei Prävention so wichtig, denn die Kinder müssten Strategien lernen, um in Bedrohungssituationen selbstsicher zu sein und sich richtig zu verhalten. Die Jungen und Mädchen im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren erläuterten, was sie bereits in den zurückliegenden Einheiten gelernt haben: „Man muss drei Fragen stellen“, sagte Richard-Thilo, der in die dritte Klasse geht. Es gelte, rasch sein Gefühl zu überprüfen, ja oder nein, fühle ich mich bedroht oder nicht.

Nach dieser Selbstwahrnehmung müssten sie überlegen, ob sie ihre Eltern informieren können. Sei das nicht der Fall, würden sie überlegen, wie sie Hilfe bekommen könne. „Alle von uns können diese Fragen auswendig“, sind auch Leonor (5) und Lena (9) stolz auf das Gelernte, doch das reiche noch nicht.

Im nächsten Schritt hätten sie gelernt, so genannte „rettende Inseln“ zu suchen. Das seien etwa ein Geschäft, eine Bushaltestelle, ein Kiosk, ein Gebäude oder vielleicht eine Tankstelle, erklärte der zwölfjährige Ben.

Und Paul und Leonor machten gemeinsam vor, wie man erkennt, dass eine Situation bedrohlich werden könnte. Sie stellen sich gegenüber und strecken einen Arm aus. Die Armeslänge markiere den Sicherheitsabstand, erklären die beiden. Komme einem jemand näher, bestehe die Möglichkeit, dass man gepackt werden könnte. Die Kinder haben gelernt, eine Situation einzuschätzen und angemessenes Verhalten zu beschreiben.

Verhaltensmuster müssen in Fleisch und Blut übergehen

Mindestens genauso wichtig wie die Theorie ist Bettina Böll das Einüben von Verhaltensmustern im Rollenspiel, die im Falle einer Attacke rasch aktiviert werden können. Die Kinder erhalten den Auftrag, zielstrebig an ihr vorbei zu gehen. In einem unerwarteten Moment spielt sie einen Angreifer, der schubst, rempelt, am Shirt zerrt und die Herausgabe von Wertsachen und Handy fordert.

Blitzschnell streckt Paul seinen Arm aus, hält die Angreiferin auf Abstand, schreit schrill „Geh weg!“ Damit hat die Angreiferin nicht gerechnet und lässt Paul passieren.

Weil sich Gewaltbereite oft vermeintlich schwache, wehrlose Opfer suchen, ist das Trainieren eines souveränen, selbstbewussten und lauten Auftretens für die Kinder im Sicherheitstraining wichtig – und das sei auch ein Baustein im Bereich der Selbstverteidigung. Bettina Böll ist zufrieden mit der Abwehrkraft, die ihr ihre kleinen Kursteilnehmer entgegensetzen.