Freies Netzwerk Kultur Die Jazz-Revolution fing in Wuppertal an – und geht weiter

Wuppertal · Torsten Krug zum Erbe von Peter Brötzmann.

Torsten Krug beschreibt, was Peter Brötzmann hinterlässt.

Foto: Andreas Fischer

Und wieder ist einer gegangen, es war wohl Zeit. Offenbar friedlich ist Peter Brötzmann am bisher stürmischsten Tag des Jahres in seinem Bett in der Luisenstraße in Wuppertal verstorben. Es war seit Monaten absehbar, und doch ist es immer zu früh, kommt es schmerzlich überraschend.

Für mich reiht sich Peter Brötzmann ein in eine Reihe von Menschen, denen ich erst in ihrem hohen Alter begegnen durfte. Im Rahmen der Vorbereitungen zu seinem achtzigsten Geburtstag – noch in der Pandemie – lernten wir uns kennen und schätzen, nachdem ich ihn früher ein paar Mal auf der Bühne erlebt hatte. Ende August 2021 dann konnte Insel e.V. im Ada das dreitägige Festival „BRÖtz 80!“ ausrichten, das die herausragende Stellung dieses Ausnahmekünstlers feierte. In Wuppertal war es die erste große Veranstaltung nach dem Lockdown. Die Musikerinnen und Musiker und – für mich damals verblüffend – das Publikum kamen buchstäblich aus aller Welt: aus Polen, Frankreich, Schottland, Italien oder den USA waren Menschen angereist, um diese drei Tage in unserer Jazz-Stadt mitzuerleben. Es wurde ein überwältigender Erfolg, im Nachhinein fast seine „famous last words“.

„Es gibt und gab in Deutschland, vielleicht ganz Europa, keinen zweiten Jazz-Musiker, der über einen Zeitraum von fast sechzig Jahren als Garant für eine solch absolut kompromisslose, nach vorne gewandte künstlerische Vision stand“, sagt sein langjähriger Freund und Kollege Wolfgang Schmidtke. „Wo andere entdecken, dass eine bestimmte Band, ein bestimmtes Album, eine stilistische Nische, kommerziell gut zu vermarkten sind, war der Weg von Peter Brötzmann durch ein konsequentes Suchen und Neukonzipieren geprägt.“

Wie schwer und abseits dieser Weg vor allem in den Anfangsjahren gewesen sein muss, scheint auf, wenn man sich die Aufzeichnung einer Fernsehsendung aus dem Jahr 1964 anschaut, die im Netz kursiert: Der junge Brötzmann wird dort als Vertreter des Freejazz dem nur wenig älteren Klaus Doldinger als Vertreter eines „Pop-Jazz“ gegenübergestellt, was wohl beides falsch ist. Dazwischen sitzen ausschließlich Herren rauchend im engen Halbrund eines Tisches und bewerten und vergleichen, was sie da hören, beschreiben es mitunter als „nicht musikalische Erfahrung“. Brötzmann stand für Krach; die Fähigkeit, „normale“ Musik überhaupt spielen zu können, wurde ihm abgesprochen, viele aus der noch jungen Szene galten als Dilettanten. Der Rest ist Geschichte.

Spätestens Brötzmanns 1968 erschienene Platte „Machine Gun“ zählt zu den Meilensteinen des europäischen Jazz und wurde 2013 vom Rolling Stone Magazin in seiner Liste der „besten 100 Jazz-Alben“ aller Zeiten auf Platz 33 gewählt. „Seine Sprache ist universell“, hieß es anlässlich seines 75. Geburtstags im Bayerischen Rundfunk: „Musik als Aufbegehren. Eine, die alle Töne dieser Welt ausprobiert. Und die mit ungeschönten Tönen zeigt, wie die Welt ist.“

Die Revolution ging von Wuppertal aus. Und hier soll die Geschichte weitergehen: Im Nachklang jenes Festivals war bei uns der Wunsch entstanden, das einmalige Programmkonzept weiterzuentwickeln und ein alle zwei Jahre stattfindendes internationales Festival für freie Musik zu etablieren. Bis zuletzt hat Brötzmann daran gearbeitet und bereits Musikerinnen und Musiker aus aller Welt versammelt, die Ende September das „BRÖtz 2023!“ aus der Taufe heben sollen. Noch immer ist die Finanzierung nicht restlos gesichert. Ab Mitte Juli wissen wir mehr. Auch das Plakat zum Festival hat er noch geschafft, schließlich war er ebenso leidenschaftlich bildender Künstler. Bye-bye, Mister Brötzmann!

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