Wuppertaler Gesundheitskolumne Wie kann die Nierenfunktion zuverlässig bestimmt werden?
Wuppertal · Auch beim Urin kommt es auf den Inhalt an.
Es geschieht nicht selten: Ein Patient steht vor mir und hält einen Ausdruck mit Laborwerten in der Hand, das Gesicht voller Sorge. In der Rubrik Nierenwerte ist der sogenannte GFR-Wert, eine Abkürzung für glomeruläre Filtrationsrate, gelistet. Weiter unten werden diese Werte gedeutet, beispielsweise als „chronische Niereninsuffizienz im Stadium 3“. Schnell stellen sich besorgte Fragen: „Bin ich chronisch krank?“ und „Muss ich etwa zur Dialyse?“ Gelegentlich wird auch unterstellt, dass Diagnosen gestellt werden, obwohl keine Krankheiten vorhanden sind. In solchen Momenten ist es unerlässlich, sich Zeit zu nehmen und Komplexitäten zu erläutern, die nicht leicht verständlich sind.
Die sogenannten Nierenwerte, insbesondere das Kreatinin, sind keine Absolutwerte. Kreatinin entsteht vorrangig im Muskel. Daher muss seine Konzentration im Blut im Verhältnis zum Alter, Geschlecht und der Muskelmasse des Patienten oder der Patientin gesehen werden. Zwei Menschen mit demselben Kreatininwert haben nicht unbedingt die gleiche Nierenfunktion.
Die zuverlässigste Bestimmung der Reinigungsfunktion der Nieren erfolgt durch das 24-stündige Sammeln von Urin. Zusammen mit einer Blutentnahme und Kenntnis der gesammelten Menge können nicht nur die Reinigungsrate errechnet, sondern auch die Eiweißausscheidung präzise bestimmt werden. Letztere kann sowohl ein Indikator für eine Nierenerkrankung sein, als auch deren Verlauf bestimmen. Für eine genaue Bestimmung der Nierenfunktion genügt daher eine einmalige Blutentnahme nicht. Dennoch können wir nicht jede Blutprobe mit einer Urinsammlung verknüpfen.
Daher wurden auf wissenschaftlicher Grundlage mehrere Formeln entwickelt, die anhand des Kreatinins, des Alters und des Geschlechts die Reinigungsfunktion der Nieren schätzen. Das Computerprogramm berücksichtigt hauptsächlich diese drei Faktoren: das Kreatinin im Blut, das Geschlecht und das Alter. Daher erhöht sich mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, eine Diagnose von chronischer Niereninsuffizienz zu erhalten, selbst wenn die Nierenwerte noch normal sind.
Ist das dann korrekt? Nein, es muss überprüft werden. Denn mit diesen Formeln werden keine akuten Veränderungen beurteilt. Vielmehr setzen sie eine stabile Nierenfunktion über Monate voraus. Eine Diagnose wie die chronische Niereninsuffizienz kann nicht basierend auf einem einzigen Messwert gestellt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der GFR-Wert auf den Laborberichten ein geschätzter Wert ist, der auf einer Formel basiert. Man sollte ihn vorsichtig behandeln. Panik ist ebenso unangebracht wie völlige Sorglosigkeit. Der vernünftigste Ansatz ist es, mit jemandem darüber zu sprechen und gegebenenfalls eine gründlichere Untersuchung durchführen zu lassen.
Ein weiterer häufig angesprochener Punkt ist die produzierte Urinmenge und ihr Zusammenhang mit der Reinigungsfunktion der Nieren. Dabei ist nicht die Menge aussagekräftig, sondern der Inhalt des Urins. So produziert eine kranke Niere zwar noch Urin, der aber nicht mehr konzentriert ist – es fehlen all die Abfallstoffe, die unseren Körper verlassen sollen. Dann scheidet der Körper nur noch Wasser aus und Stoffe wie Kreatinin und andere Produkte verbleiben im Blut, wo ihre erhöhte Konzentration gemessen werden kann.
Die verlässlichste Art und Weise, die Nierenfunktion zu bestimmen, erfordert also mehr als einen Labortest. Haben Sie Bedenken bezüglich Ihrer Nierenwerte, sollten Sie sich an einen Facharzt wenden, um sich gründlich untersuchen zu lassen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Dr. Volker Lechterbeck ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin V und Nephrologie am Petrus-Krankenhaus.