Reportage Wuppertaler Escape Room „Ankunft in Fremdistan“: WZ-Redakteur hat sich der Herausforderung gestellt
Wuppertal · Im Spiel müssen die Teilnehmer verwirrende Hinweise lösen – sie sollen nachfühlen, wie es ist, aus einem Land zu flüchten.
So in etwa muss ein Verhörraum aussehen. Sechziger Jahre. Irgendwo im Ostblock vielleicht. Ein einfacher Schreibtisch mit Papierkram und Lampe drauf zur Linken, vier Plastikstühle in einer Reihe gegenüber. An einer der giftgrünen Wände hängt die Flagge eines unbekannten Landes. Daneben ein Herrscherportrait, wie man es aus Bananenrepubliken kennt. Der Diktator posiert in Uniform vor einem Tiger. Von außen dringen Brocken einer fremden Sprache in den Verschlag. Dazu Kindergeschrei und Tastaturgeklapper. Immer wieder klopft jemand von außen gegen die Wand: „Los, macht schon, beeilt euch!“
Die drei Spieler in der Kammer sind angespannt. Kein Wunder: Sie können nicht raus. Ihre Handys sind weg. Auch ihre Schuhe mussten sie ausziehen. Ihre Füße stecken jetzt in grünen Plastik-Latschen. 60 Minuten haben sie Zeit, den Raum nach Hinweisen abzusuchen, um wieder herauszukommen. Einziges Hilfsmittel dabei: ihre Köpfe.
Das ist die Herausforderung im Live-Escape-Room „Ankunft in Fremdistan“, den die Börse in Wuppertal noch bis Freitag, 30. Juni, anbietet. Die Idee dahinter: Auf spielerische Weise erleben, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land zu stranden, die Sprache nicht zu verstehen und sich trotzdem zurechtfinden zu müssen. Das Unbehagen, das einen in dem kargen Raum überkommt, ist also kein Zufall. Genauso soll es sich anfühlen.
Flüchtlinge haben
die Rätsel entwickelt
„Der Escape Room und die Rätsel, die es dort zu lösen gilt, wurden allesamt von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt“, sagt Karin Böke, Projektleiterin für politische Bildung in der Börse. „Dadurch sollen Fluchterfahrungen auch für Leute nachfühlbar werden, die selber keine haben. Wir möchten ein bisschen die eigene Blase zum Platzen bringen.“
Karin Böke ist es zu verdanken, dass es der Escape Room nach Wuppertal geschafft hat. Denn ursprünglich stammt das Konzept von der Bonner Flüchtlingshilfe. Auch der Raum samt Requisiten war zunächst in Bonn aufgebaut. „Ich habe davon im Radio gehört und bin dann dorthin gefahren, um mir das anzuschauen“, sagt Böke. „Danach habe ich bei verschiedenen Organisationen die Werbetrommel gerührt und auch eine Förderung beim Land NRW beantragt.“ Mit Erfolg. Die Wuppertaler Caritas war von der Idee begeistert. Auch der Förderantrag wurde bewilligt, sodass es im März mit dem Aufbau des Escape Rooms im Kunst-, Kultur- und Natur-Atelier der Caritas (KuKuNa) an der Hünefeldstraße in Unterbarmen losgehen konnte.
Drei Räume voller verwirrender Zeichen und Hinweise müssen die Teilnehmer insgesamt hinter sich lassen, bis das Spiel geschafft ist. Am Ende wartet auf sie die Aufenthaltserlaubnis von „Fremdistan“. Die Einrichtung des Escape Rooms ist zwar fiktiv, aber die Gegenstände in den Zimmern erzählen zum Teil echte Geschichten. Da ist zum Beispiel das Tagebuch von Mohammed, der auf seiner Flucht in einem überfüllten Schlauchboot auf dem Mittelmeer kenterte und nur mit Glück überlebte. Oder der Duschkopf, den ein syrischer Flüchtling jeden Abend mit auf sein Zimmer nahm, weil die Brausen in der Sammelunterkunft immer wieder gestohlen wurden, sodass niemand mehr duschen konnte. „Die Menschen erleben auf der Flucht oft das Gefühl, dass man sich einer Sache nie sicher sein kann, sie misstrauen einander und das ist eine enorme psychische Belastung für sie“, sagt Karin Böke.
Aus dem Kontrollraum
gibt es Tipps
Nedim, Yasmin und Tugce sind zufrieden. 44 Minuten haben die drei gebraucht, um aus dem Escape Room zu entkommen und nach Fremdistan einzureisen. Ihre Freundinnen Merve und Svetlana haben als Spielleiterinnen im Kontrollraum verfolgt, wie sie sich schlagen. Kleine Tipps inklusive. Trotzdem sind die Teilnehmer erleichtert. Angenehm war die Dreiviertelstunde Rätselknacken für sie nicht. „Ich war ein bisschen überfordert. Es gab einfach diese negative Grundstimmung, die auch nochmal durch die Geräuschkulisse verstärkt wurde“, sagt Nedim. Yasmin sieht das ähnlich. „Das war schon krass. Man kann sich vorstellen, dass es in einer Asylunterkunft wirklich so aussieht“, sagt sie.
Eigene Fluchterfahrungen haben die Freunde nicht. Sie sind in Deutschland geboren. Dennoch haben sie alle auf die eine oder andere Weise mit Menschen zu tun, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, erzählen sie im anschließenden Gespräch. Nedim etwa ist Heilerziehungspfleger in einer Kita für geflüchtete Sinti und Roma, Merve gibt seit einigen Jahren Deutschunterricht für Flüchtlinge und Yasmin hat schon einmal als Übersetzerin beim Jobcenter gearbeitet. Das prägt. „Ich habe bei meiner Arbeit schon oft erlebt, dass die Leute von der Bürokratie in Deutschland überfordert sind, weil sie die Sprache und die Abläufe einfach nicht verstehen“, sagt sie. „Daher halte ich den Escape Room durchaus für realistisch.“
Wer Lust hat, einmal selbst den beschwerlichen Weg nach Fremdistan in Angriff zu nehmen, hat dafür noch bis einschließlich Freitag Zeit. Danach geht es für den Escape Room zurück nach Bonn.