Historisches Ein Spaziergang in der Reihe „1933 Niemals vergessen“ führt an die Tatorte am Arrenberg in Wuppertal
Wuppertal · Gedenken an die Opfer des NS.
Er starb, weil er dem SPD/Reichsbanner – in der Weimarer Zeit ein politischer Wehrverband zum Schutz der demokratischen Republik – angehörte. Der SA-Sturm von August Puppe stand frühmorgens vor dem Haus an der Simonsstraße 79, in der die sozialdemokratisch orientierte Familie Custin wohnte. Als Wolfram Custin klar wurde, dass die Nazis ihn persönlich holen wollten, flüchtete er auf das Dach des Mehrfamilienhauses. Von der SA beschossen, stürzte der 19-Jährige hinunter und überlebte nicht.
Beim Gedenkspaziergang, innerhalb der vom „Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen in Wuppertal“ organisierten Veranstaltungsreihe „1933 Niemals vergessen“, wurde seiner und aller anderen Arrenberger Widerstandskämpfer und NS-Verfolgten, gedacht. Stephan Stracke führte die Teilnehmer zum Haus und hatte eine Gedenktafel dabei.
Er freute sich über eine besondere Teilnehmerin: Therese Lucius-Custin ist kaum etwas über die Geschichte der Familie ihres Mannes bekannt und sie hörte interessiert den detailreichen Ausführungen von Stracke zu. „Allgemein ist diese Phase noch nicht gut erforscht. Es gibt leider auch nicht viele Informationen in Wuppertal über diesen Zeitraum“, erzählte er. Über die Opfer des Terrors 1933 in Deutschland gebe es trotz jahrzehntelanger NS-Forschung bis heute nur ungefähre Schätzungen. Neuere Arbeiten gehen von 500 bis 1000 Toten aus. In Wuppertal sind die Anzahl der Ermordeten und ihre Namen bekannt, aber über viele existieren bisher nur bruchstückhafte Informationen, die wie ein Mosaik zusammengesetzt werden müssen.
20 Menschen sind in Wuppertal in dem Zeitraum von März bis Juli 1933 von der SA getötet worden. Hinzu kommen die mehreren Hundert Menschen, die auf offener Straße angeschossen, bei Hausdurchsuchungen verletzt sowie in den SA- und den SS-Unterkünften und Polizeigefängnissen und ab Juni 1933 im KZ Kemna gefoltert oder in den Selbstmord getrieben wurden.
Stracke erzählt von den Gräueltaten der Nationalsozialisten, von Leichenfunden in Wäldern, Flüssen und umliegenden Stauseen. Die Vorgehensweise der SA war brutal, auch Unbeteiligte fanden bei den Razzien den Tod. Die meisten Opfer gehörten der KPD und dem kommunistischen „Kampfbund gegen den Faschismus“ sowie dem sozialdemokratisch dominierten, republikanischen Wehrverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ an, die vor 1933 in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der SA und SS verwickelt waren. Diese nahmen dafür blutige Rache.
So auch an dem Heizer Friedrich Mersebug, der am 28. Juni aus seiner Wohnung geholt und bei Gut Steinberg erschossen wurde. Auch seiner wurde bei der Führung gedacht. Ebenso Friedrich Born, der im März 1933 tot auf einer Wiese am Otto-Hausmann-Ring gefunden wurde. Viele Wuppertaler unterstützten im Anilin-Viertel KPD und SPD. So erreichte die KPD bei den Reichstagswahlen im November 1932 im Wahllokal an der Vogelsaue fast 55 Prozent, die SPD fast 26 Prozent.
Bei einer Wahlkundgebung von Joseph Goebbels wurde dieser auf dem Weg zum Stadion am Zoo auf der unteren Königsstraße mit Steinen beworfen, anrückende SA-Kolonnen von Gegendemonstranten blockiert und zum Ausweichen gezwungen. Für den damaligen Polizeipräsidenten Veller ein Grund für Razzien und Erschießungen. Neben der Vorstellung der neuen Forschungsergebnisse bei zahlreichen Veranstaltungen wird vom Verein die Publikationsreihe „Verfolgung und Widerstand in Wuppertal“ herausgegeben. Im Herbst wandert die Ausstellung, die die NS-Verfolgten und Widerstandskämpfer würdigen, ihren Leidensweg und auch ihre Kampfgeschichte erzählen möchte, durch Wuppertaler Schulen. Der nächste Gedenkspaziergang ist am 29. Juni um 17 Uhr. „Tatort 1933 Vohwinkel“, Treffpunkt Schwebebahnhof.