Wer passt mittags auf Victor auf?

Wegen Lehrermangels schickt die Troxlerschule Kinder früher nach Hause. Einige Eltern haben für diese Zeit keine Betreuung.

Wer passt mittags auf Victor auf?
Foto: Stefan Fries

Eigentlich ist Victor (8) gut aufgehoben an der Troxlerschule, einer privaten Waldorf-Förderschule für geistige Entwicklung. Seit kurzem gibt es aber ein Problem am Donnerstagnachmittag. Denn weil zu viele Lehrer fehlen, hat die Schule den Unterricht verkürzt. Und Victors Mutter Corinna Frohn weiß nicht, wer sich an dem Nachmittag um ihren Sohn kümmern soll.

„Donnerstag ist mein langer Tag“, erklärt die Ärztin. Sie hat eine 30-Stunden-Stelle im Krankenhaus, könne jetzt nicht abrupt ihre Arbeitszeit umstellen. Und als Alleinerziehende hat sie zum einen keinen Partner, der einspringen kann, und ist zum anderen auf den Verdienst angewiesen — zumal für die Versorgung ihres Sohnes ohnehin Mehrausgaben nötig seien. Dass Familien behinderter Kinder von Armut bedroht seien, „wird durch die mangelnde Unterstützung seitens des Staates billigend in Kauf genommen“, klagt sie an.

Hintergrund sind mehrere Langzeiterkrankungen im Kollegium der Schule. Lehrer Michael Berger-Sperling erklärt: „Von 31 Kollegen sind derzeit fünf längerfristig erkrankt. Das können wir nicht mehr auffangen.“ Anders als die städtischen Förderschulen könnten sie nicht aus einem größeren Pool an Lehrern schöpfen. Zwar sei beim Land ein Topf für Vertretungen vorgesehen, „aber es fehlen Kandidaten. Überall ist Lehrermangel.“ Vertretungen von anderen Schulen zu bekommen, sei schwierig. „Das sind nur im besten Fall Förderlehrer“, kurzfristig auch Lehrer ohne diese spezielle Qualifikation.

Daher hätten sie sich — in Absprache mit dem Schulamt — Ende Februar entschlossen, die Stundenzahl zu kürzen. Die Wahl sei auf den Donnerstag gefallen, weil diese Kürzung dann alle Kollegen gleich betreffe, keiner bevorzugt werde. Jetzt werden die Schüler statt um 15 Uhr um 13 Uhr nach Hause gebracht. Dabei sei ihnen bewusst, dass für die Eltern schwierig sei: „Sie kommen jetzt in eine Betreuungs-Bredouille.“

Corinna Frohn ist nicht die einzige, die nun vor Problemen steht: Petra Wolfgruber zieht ihre Tochter Juna (9) auch allein groß und geht arbeiten. Auch sie bleibt donnerstags bisher länger im Büro. „Ich finde niemanden, der um 13 Uhr Zeit hat.“ Studenten, die sonst schon mal das Mädchen betreuten, das nicht laufen, nicht sprechen und nicht allein zur Toilette kann, seien mitten am Tag auch beschäftigt. Jetzt denkt sie von Donnerstag zu Donnerstag. Zwei mal hilft eine befreundete Mutter. „Ich habe noch zehn offene Donnerstage“, seufzt sie. Bei gesunden Kindern könnten auch mal Nachbarn einspringen, „aber bei meinem Kind geht das einfach nicht.“ Wenn sie für die fehlenden zwei Stunden nach Hause fahre, riskiere sie ihren Job. Es gab auch schon Überlegungen, die Kinder in der Schule betreuen zu lassen, zum Beispiel von den Inklusionshelfern. Dabei sei aber die Versicherungsfrage noch nicht geklärt.

Auch an städtischen Förderschulen fehlen Lehrer: „An einigen Förderschulen gibt es einen deutlichen Unterhang“, bestätigt Michael Fischer vom Schulamt. „Der Markt ist unheimlich ausgedünnt.“ Zwischen den städtischen Förderschulen gebe es Abordnungen. Und wenn Stundenausfälle Eltern in Probleme bringe, dann finde man Auswege: „Es bleibt niemand in der Situation.“

Bei der Troxlerschule war das nicht mehr möglich. Michael Berger-Sperling sieht als ein Problem auch die Finanzen. Als Ersatzschule müssten sie drei bis fünf Prozent ihrer Kosten selbst aufbringen. Zudem werden die Lehrer schlechter als ihre Kollegen an Regelschulen bezahlt — was eine Anstellung weniger attraktiv mache. „Wir sind in regen politischen Verhandlungen, dass Förder-Ersatzschulen zu 100 Prozent finanziert werden“, sagt Michael Berger-Sperling. Er hofft, dass die öffentliche Aufmerksamkeit zur Lösung der Probleme beiträgt.