Interview „Wir Erwachsenden sind die Forschungsassisten der Kinder“
Wuppertal · Cornelia Weisenbruch, Chefin der 68 städtischen Kitas, über Veränderungen in der Bildungslandschaft für Kinder.
Wenn Kinder Cornelia Weidenbruch (65) in ihrem Büro im Elberfelder Rathaus besuchen, sind sie beeindruckt von dem Haus im neugotischen Stil. Manche fragen: „Bist du eine Königin? Wohnst Du in einem Schloss?“ Das ist die 65-Jährige nicht, sondern die Chefin der 68 städtischen Kitas, zudem berät und unterstützt sie die 132 weiteren Kitas in der Stadt. Ende September nimmt sie ihren Abschied. Mit der WZ sprach sie über ihren Werdegang und die Veränderungen in der Kinderbetreuung.
Was waren Ihre Anfänge bei der Stadt?
Cornelia Weidenbruch: Angefangen habe ich 1976 als Sozialarbeiterin. Ich habe ich den Heimdienst aufgebaut und Verwaltung kennengelernt. Ich musste zum Beispiel lernen, was ein Vermerk ist. Ich kam ja aus der selbstverwalteten Jugendzentrumsarbeit.
Wie ging es weiter?
Weidenbruch: Als ein Brief kam, der mir mitteilte, wann ich das 25-jährige Dienstjubiläum erreichen würde, dachte ich: Das kann doch nicht alles gewesen sein. Ich habe dann Sozialwissenschaften studiert — und festgestellt, dass Lernen ohne Druck Spaß macht. Das hat mich ab dann begleitet, dass Lernen und Bildung etwas Tolles ist. 1981 habe ich wieder bei der Stadt angefangen. Studiert habe ich nebenher, bis ich 1988 meinen Sohn bekam.
Was haben Sie bei der Stadt gemacht?
Weidenbruch: Ich war Erziehungsbeistand, dann ab 1986 in der Verwaltungsabteilung. Und ich habe Eltern-Initiativen beraten, wie man ein Kita-Konzept schreibt, einen Verein gründet, was die Bau-Ordnung verlangt. Bis auf zwei sind alle Kitas aus Initiativen, die ich begleitet habe, bis heute dabei. Das macht auch den Charme dieser Stadt aus: Die Leute moppern gerne, packen aber auch an. 1992 wurde ich stellvertretende Jugendamtsleiterin und habe lange das Jugendamt kommissarisch geleitet. Das war nicht immer einfach. 1995 wurde ich Leiterin des Stadtbetriebs Tageseinrichtungen für Kinder.
Mitte der 80er war Kinderbetreuung noch nicht so ein Thema wie heute.
Weidenbruch: Wir hatten bei Kindern über drei eine Versorgungsquote von etwa 70 Prozent und für Kinder unter drei genau 224 Plätze. Ab 1996 gab es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem dritten Lebensjahr und damals schon eine hohe Anzahl an Zuwanderern. Man hat die Plätze ausgebaut und geglaubt, eine Versorgung von 80 Prozent reicht. Seit 2013 haben wir den Anspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, man hielt erst 30 Prozent Versorgung für ausreichend und wundert sich wieder, dass mehr Eltern ihn wahrnehmen wollen. Heute wollen fast alle Eltern ihre Zweijährigen in die Kita schicken. Was mir besonders gut gefällt: Dass sich die Frauen dafür nicht mehr so entschuldigen wie früher.
Wann werden wir genug Kitaplätze haben?
Weidenbruch: Im Vergleich zu 2013 haben wir 2500 mehr Kinder zwischen null und sechs Jahren. Deshalb fehlen trotz des starken Ausbaus immer noch 1000 Plätze. Es belastet mich, dass ich Absagen erteilen muss. Ich bin aber stolz darauf, dass wir es schaffen, allen Kindern mindestens ein Jahr in der Kita zu ermöglichen.
Was hat sich inhaltlich in den Kitas verändert?
Weidenbruch: Sie werden heute viel stärker als Bildungseinrichtungen gesehen. Wir haben gelernt, die Selbstbildungskräfte der Kinder zu achten. Sie lernen mit Begeisterung, wenn sie Interesse an etwas haben. Dann können sie stundenlang Sand durchs Sieb rieseln lassen. Wir Erwachsenen sind nicht die Wissenden, sondern die Forschungsassistenten der Kinder. Wir beobachten sie und besprechen mit ihnen, was sie tun können. Dabei ist Partizipation immer wichtiger geworden: Wir beteiligen Kinder an Entscheidungen.
Gibt es weitere Veränderungen?
Weidenbruch: Sprachförderung bleibt weiter ein Hauptbildungsbereich der frühkindlichen Bildung, auch weil es viele Kinder gibt, die zu Hause nicht Deutsch sprechen. Wir verfolgen den Ansatz, Kinder im Alltag sprachlich zu begleiten und zum Sprechen anzuregen. Wir kooperieren mit der Uni und mit der Fliedner-Fachhochschule in Düsseldorf. Bei einer Video-Studie kam heraus, dass die Kinder am meisten lernen, wenn sie viel untereinander kommunizieren. Auch sonst versuchen wir, Forschungsergebnisse aufzugreifen und umzusetzen. Wir müssen die kleinen Menschen in die Lage versetzen, die Probleme von morgen zu lösen. Dazu müssen wir ihnen Lust machen, Probleme zu lösen — das kann der Versuch sein, einen Stock zu werfen. Deshalb sollten wir sie in ihrem Tun nicht unterbrechen, sondern das Kind bestärken.
Was werden Sie selbst in Zukunft tun?
Weidenbruch: Neue Wege gehen: Ich bin den Rundweg um Wuppertal schon einmal gelaufen, jetzt will ich ihn der anderen Richtung gehen. Ich habe einige Reisen geplant, will erstmal Abstand gewinnen. Was dann kommt, lasse ich auf mich zukommen. Ich bin zwar traurig zu gehen, aber ich freue mich auch auf Neues.