„Wo ich bin, hab’ ich mein Publikum“
Als Gänseliesel ist Ingrid Patzer so bekannt, dass die Post sie auch ohne Anschrift erreicht. Vor 20 Jahren hat sie ihre Drehorgel gekauft. Seitdem sieht man sie in der Innenstadt: im blauen Kleid und singend.
Wuppertal. Schon von weitem riefen die Kinder und lockten mit heiteren Stimmen. Altertümliche Verse füllten die Umgebung, während schwungvoll die Drehorgel gekurbelt wurde. Es war das erste Mal, dass Ingrid Patzer (74) mit dem Leierkasten auf einem Fest in Wuppertal in Berührung kam: „Das hat mir so gut gefallen, dass ich angefangen habe zu sparen, um mir selber eine Drehorgel zu kaufen.“
20 Jahre ist das nun her. Ingrid Patzer alias die Gänseliesel ist mittlerweile eine Kultfigur geworden - nicht bloß in ihrer Heimat. In Oldenburg und Freiburg aufgewachsen, ging es 1974 aus beruflichen Gründen mit ihrem Mann und den drei Kindern nach Elberfeld: „Ich bin zugereist, wie man so schön sagt. Trotzdem ist Wuppertal meine Heimat - mich kriegt keiner von hier weg“, erzählt Ingrid Patzer.
Der Tag, der aus ihr die Gänseliesel machte, ist ihr auch heute noch genau in Erinnerung geblieben: Schönes Wetter, ausgelassene Stimmung, Menschen, die singen und schunkeln. „Die Entscheidung stand für mich fest. Ich musste unbedingt selbst eine Drehorgel besitzen.“ Mehr als drei Jahre hat es gedauert, bis Ingrid Patzer das Geld zusammengespart hatte. „16 000 Mark hat der Leierkasten damals gekostet.“ Und den besitzt sie auch heute noch.
„Von da an habe ich Wuppertal erst richtig kennengelernt“, resümiert die Gänseliesel heute. Anfangs spielte sie überwiegend auf Geburtstagen und in Altenheimen. „Irgendwann wurde ich weiterempfohlen und lernte dadurch immer mehr Menschen kennen.“
Aus Ingrid Patzer wurde schnell eine Kultfigur. Immer öfter sah man sie in ihrem blauen Kleid mit den Gänse-Applikationen durch die Barmer Innenstadt laufen und dabei die Drehorgel kurbeln. Mit lauter Stimme sang sie dann den Menschen unter anderem das Schwebebahn-Lied vor. Es sind bekannte Melodien - meist Volkslieder - vom „Murmel Petrus“ bis zum „Tippen Tappen Tönchen“.
„Wo ich bin, habe ich mein Publikum. Die Menschen kennen die Lieder und singen dann mit. Das ist das Schönste - wenn die Stimmung gut ist und die Leute vor Freude strahlen“, so Ingrid Patzer.
Dabei hatte es Ingrid Patzer nicht immer leicht. Jahrelang war die 74-Jährige als Nachtwache in einem Pflegeheim tätig. „Meine Kollegen waren neidisch auf mich und haben mich das auch spüren lassen. Auch mein damaliger Mann hielt nicht viel von meinem Hobby.“ Echte Anerkennung, so sagt sie, habe sie eigentlich erst durch das Orgelspielen kennengelernt. „Ich habe in 20 Jahren viel erlebt und alles geschafft, was ich wollte“, betont sie. Einmal im Monat trifft sich Ingrid Patzer mit andere Orgelspielern, die, wie sie, aus Leidenschaft den Leierkasten zum Leben erwecken. „Solange ich die Orgel noch tragen kann, werde ich weitermachen.“ Im Gänsekleid und mit Hut.