Senioren Angst vorm Leben im Altenheim? „Wir wollen gar nicht mehr weg“

Wuppertal · Für Wilfried Herkenrath und Klaus Lamm begann an der Neviandtstraße ein neuer Lebensabschnitt. Die Männer berichten der WZ, wie sie dort ankamen.

Wilfried Herkenrath und Klaus Lamm (v.l.) haben sich nach anfänglicher Skepsis im städtischen Altenheim an der Neviandtstraße eingelebt.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Mit einem Schlag war das alte Leben von Wilfried Herkenrath vorbei. Der 74-Jährige fiel von der Couch und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. 14 Tage lang konnte sich der Rentner kaum noch bewegen und auch nach dem Krankenhausaufenthalt war an ein Leben allein in einer eigenen Wohnung nicht mehr zu denken. „Wo ich gehört habe, dass ich ins Altenheim soll, habe ich das Grauen gekriegt“, erinnert sich Herkenrath. Er kam in das städtische Alten- und Pflegeheim an der Neviandtstraße. Sein Gedanke: „Nach ein paar Wochen kann ich wieder nach Hause gehen.“ Aus den paar Wochen wurden anderthalb Jahre. Inzwischen kann Herkenrath mit dem Rollator wieder gut gehen. Doch er sagt: „Ich will gar nicht weg. Mir gefällt es hier gut. Die Schwestern sind sehr nett und hier wird uns einiges an Programm geboten.“ Von einem anderen Tag habe er im Kopf umgeschaltet: „Das hat Klick gemacht.“ Heute sagt er: „Das hier ist mein Zuhause.“

An manchen Tagen packt
Klaus  Lamm noch das Heimweh

Ähnlich rasant wandelte sich das Leben von Klaus Lamm (79). Er stürzte allein in seiner Wohnung, kam ebenfalls ins Krankenhaus. Ehe er sich versah, blieb auch ihm nur noch der Weg ins Altenheim. Seine einzige verbliebene Angehörige ist eine Schwester in Bayern. „Ich wollte erst gar nicht hier bleiben“, sagt auch Lamm über seine ersten Tage im Altenheim. Schwer sei ihm der Schritt gefallen, die eigenen vier Wände aufzugeben. Eine Nachbarin habe ihm schließlich mit der Auflösung der Wohnung geholfen. Das sei aus heutiger Sicht auch richtig so gewesen. „Auch wenn ich manchmal noch Heimweh habe“, sagt Lamm. „Ja, dann nehme ich ihn in den Arm und dann ist wieder gut“, scherzt Wilfried Herkenrath und beide Männer lachen.

Sie wohnen gemeinsam auf einer Etage und haben sich gefunden. Die Gesellschaft ist den beiden wichtig. So leicht sei es nämlich am Anfang nicht als Neuer. Herkenrath erinnert sich: „Am Anfang wurde hier nicht viel gesprochen.“ Zu Beginn hatte er einen Mitbewohner auf dem Zimmer mit dem er gar nicht auskam. „Der hat überhaupt nicht mit mir geredet - kein Wort“, sagt Herkenrath. Dass er von morgens bis abends angeschwiegen wurde, habe ihn wahnsinnig gemacht. Schließlich hatte Herkenrath in seinem ersten Leben einen sehr geselligen Beruf: Er war mehr als 15 Jahre der Wirt der Kneipe „Futterecke“ am Ölberg. Inzwischen wurde der Nachbar verlegt und Herkenrath hat das Doppelzimmer für sich.

Nach ihrer Eingewöhnungszeit haben Herkenrath und Lamm sich nicht nur mit ihrer neuen Situation abgefunden - sie genießen auch die Vorzüge: Ausflüge, Kegelabende, Bastelstunden, Feste - und im Sommer wird schon mal im Innenhof gegrillt. Das Essen sei super, sagen die Männer. Klar, manchen sei es gelegentlich zu wenig. Aber es sei schwer, es jedem recht zu machen. „Und ich kann ja jederzeit raus, wenn ich will“, sagt Klaus Lamm. „Wir sind ja nicht im Knast hier. Man darf schon alles machen“, erinnert Herkenrath. Schon mal tun sich die beiden zusammen und fahren mit dem Bus in die Elberfelder City. Und der ehemalige Wirt wird manchmal von seiner Schwester abgeholt und erlebt so einen weiteren Tapetenwechsel.

Die anfänglichen Sorgen sind heute weit entfernt. „Ich habe gar keine Sorgen mehr hier“, sagt Herkenrath. Es wird ja alles für mich erledigt. Klaus Lamm ist aufgefallen, dass er sogar mit seinem Geld nun besser klar kommt als vorher. Nach Abzug der Kosten fürs Altenheim bleibe eigentlich mehr „Taschengeld“ übrig, als er ausgeben könnte. „Draußen geht man vielleicht nochmal öfters Essen. Aber hier haben wir ja alles“, sagt der Rentner.

Aufstehen um 3 Uhr -
auch kein Problem

Dass die Senioren ihr Leben nun an dem festen Tagesablauf der Einrichtung ausrichten müssen, störe sie nicht. Zudem sei jeder auch weiterhin frei in seiner eigenen Tagesgestaltung. Um kurz nach 7 Uhr komme das Frühstück, aber Herkenrath sagt: „Wenn ich bis 9 Uhr im Bett bleiben will, dann kann ich das auch.“ Und Klaus Lamm kommt selbst als einer der größten Frühaufsteher gut klar. Manchmal ist er um 3 bis 4 Uhr schon auf den Beinen: „Ich bin immer der erste hier. Manchmal gehe ich dann in die Küche und helfe da ein bisschen mit.“ Herkenrath lacht: „Das ist hier unser Küchenmeister.“

Bei allem Lob, ein wenig Kritik gibt es am Ende dann doch: Gewöhnungsbedürftig sei die Toilettensituation. Da das städtische Alten- und Pflegeheim an der Neviandtstraße in Teilen fast 110 Jahre alt ist, gibt es noch Gemeinschafts-WCs auf dem Gang. Und auch die Personaldecke sei nicht immer üppig. „Es ist eigentlich immer jemand krank“, sagt Herkenrath und dann müssten die bestehenden Mitarbeiter manchmal schon ganz schön viel leisten. Für die beiden fitten Männer, die nicht groß gepflegt werden müssen, fällt die Situation nicht so schwer ins Gewicht. „Dann dauert es mit dem Essen eben mal etwas länger“, sagt  Wilfried Herkenrath. Da störe ihn eine andere Tatsache viel mehr: „Das einzige, was ich wirklich bemängele: Hier bekommt man keine drei Mann zum Skat zusammen.“ In diesem Punkt hat er sich das Leben im Altenheim dann doch anders vorgestellt...