KOLUMNE EINER GEFLÜCHTETEN IN WUPPERTAL „Das Problem ist nicht die Fremde, sondern, nicht zu Hause zu sein“
Wuppertal · Die Ukrainerin Maryna Shevchenko erzählt von ihren Befürchtungen, die sie als Geflüchtete in Wuppertal hatte und wieso viele davon unbegründet waren.
Ich verließ die Ukraine in einem Zustand der Trauer und Verwirrung. Ich kannte die deutschen Flüchtlingsgesetze nicht – würde ich eine Behandlung meiner Krebserkrankung bekommen? Ich wusste nicht, wie die Deutschen Ukrainer behandeln – wie würden sie auf unsere Ankunft reagieren? Ich konnte kein Deutsch – wie würde ich mich mit Menschen verständigen? Aber ich verstand, dass ich gehen musste, denn für mich ging es zu diesem Zeitpunkt um Leben und Tod. Mich tröstete die Tatsache, dass ich Freunde in Wuppertal hatte. Ich hoffte, sie würden mir sagen, was ich tun soll.
Als erstes musste man sich im Haus der Integration registrieren lassen. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Morgen im März. Wir näherten uns dem Gebäude und ich sah eine riesige Schlange meiner Landsleute auf dem Gehweg.
Ich hätte heulen können: Vor ein paar Tagen hatte ich noch in meinem warmen und schönen Haus in Charkiw gefrühstückt. Und jetzt musste ich mehrere Stunden in der Kälte stehen, um in einem unbekannten Land Asyl zu beantragen.
Wir verbrachten den ganzen Tag in der Ausländerbehörde und selbst das war nicht genug Zeit, um alle Formalitäten zu erledigen. Am Abend kamen meine Mutter und ich in die Übergangsunterkunft in der ehemaligen Landesfrauenklinik. Wir wurden gefragt, ob wir ein Zimmer mit einer anderen Familie teilen würden. Wir waren einverstanden und betraten unser gemeinsames Zimmer. Es war kalt dort. Es gab zwei Etagenbetten, das war‘s. Und ich dachte wieder an mein warmes und gemütliches Zuhause ...
Am nächsten Tag gingen wir wieder ins Haus der Integration und erhielten Leistungen. Das wichtigste Dokument für mich war der Behandlungsschein für den Hausarzt. Zehn Tage nach meiner Ankunft in Wuppertal kam ich für weitere Untersuchungen und die Chemotherapie ins Krankenhaus. Wie schnell das ging, zeigte mir das Wichtigste über Deutschland: Das Leben jedes Einzelnen zählt hier. Es spielt keine Rolle, ob du Bürger des Landes oder Geflüchteter bist, ob reich oder arm.
Als ich das Krankenhaus verließ, hatten Ehrenamtler bereits eine Wohnung für uns gefunden. Wir hätten uns in unseren Träumen nicht vorstellen können, an einem so schönen Ort wie der Thomaskirche wohnen zu können. Als ich das historische Gebäude betrat, begrüßten mich meine Mutter und Norma Lennartz, Pastorin der Thomaskirche. Ich werde nie Normas unglaublich freundliches Lächeln und ihre herzlichen Worte vergessen: „Willkommen. Sie können so lange bleiben, wie Sie es brauchen.“ Da hörte ich auf, mir Gedanken darüber zu machen, wie Deutsche die Ukrainer behandeln. Ich weiß, dass wir Glück haben. Einige Ukrainer leben seit März in der Landesfrauenklinik. Sie sagen, dass es nicht leicht ist, eine Wohnung zu finden. Vermieter zögern, Wohnungen an Geflüchtete zu vermieten. Ukrainer können jederzeit wieder nach Hause zurückkehren und dann müssen sie neue Mieter suchen.
Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, dass ich kein Deutsch kann. Die Menschen in Wuppertal sprechen ausgezeichnet Englisch. Zudem gibt es viele Ehrenamtler, die Ukrainisch und Russisch sprechen und dolmetschen. Jetzt mache ich dreimal in der Woche einen Online-Deutschkurs und versuche auch, mehr über Deutschland und Wuppertal zu erfahren: Kultur, Traditionen, internationale und lokale Politik. Ich bin nicht freiwillig hierher gekommen, aber ich weiß, wie wichtig Integration ist. Ich zeige damit Respekt für die Stadt und das Land, die uns Zuflucht und Schutz gegeben haben. Und ich tue damit etwas für mich selbst, denn neues Wissen macht geistig stärker. Geistige Stärke ermöglicht es einem, mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden. In meinem Fall sind das eine schwere Krankheit, Krieg und die Notwendigkeit, mein Heimatland deshalb zu verlassen.
Als ich nach Deutschland ging, hatte ich Angst vor dem Unbekannten. Aber es stellte sich heraus, dass die größte Schwierigkeit nicht ist, in einem fremden Land zu leben. Sondern, nicht zu Hause zu sein.