Gedenkfeier Wuppertal erinnert an den 80. Jahrestag der Reichskristallnacht
Gedenkveranstaltung in der Friedhofskirche mit synagogaler Musik und Lesungen.
„Sachor“ ist ein hebräisches Wort und bedeutet „Gedenke!“. Und zu dieser Aufforderung besteht derzeit wohl Anlass: 80 Jahre ist es her, dass jüdische Mitbürger im damaligen NS-Deutschland entrechtet, attackiert und getötet wurden, dass Horden von SA-Männern jüdische Geschäfte zerstörten und plünderten, dass reichsweit mehr als 1000 Synagogen angezündet wurden, Menschen in Konzentrationslager kamen. Auch in Wuppertal erinnert man derzeit – wie in ganz Deutschland – an jene dunklen Tage, die den Auftakt für die systematische Verfolgung einer Minderheit und den Mord an sechs Millionen europäischen Juden bildeten.
Abschluss der
Veranstaltungsreihe
Mit einem Konzert zur Erinnerung an das Pogrom gegen die Juden im November 1938 schloss am Sonntag eine Veranstaltungsreihe der Begegnungsstätte Alte Synagoge. Ausführende der Veranstaltung mit dem Titel „Sachor“ waren der Konzertchor der Volksbühne Wuppertal. Als Musiker traten der Bariton Andreas Elias Post, der Violinist Jakob Schatz und der Organist Stefan Starnberger auf. Auf dem Programm, dessen musikalische Gesamtleitung Thorsten Pech hatte, stand synagogale Musik – unter anderem von dem früheren Kantor und Oberkantor der jüdischen Gemeinde Elberfeld, Hermann Zivi (1867-1943), der im Jahr 1910 eine Fest-Hymne zur Drei-Jahrhundert-Feier der Stadt Elberfeld komponiert hatte. Zudem erklangen Stücke von Salomon Sulzer, der als Schöpfer der modernen Synagogenmusik gilt, sowie Louis Lewandowski, Max Bruch und Felix Mendelssohn Bartholdy.
Auch Reden und Lesungen standen auf dem Programm. Oberbürgermeister Andreas Mucke erinnerte daran, dass der 9. November 1938 eines der „dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte“ sei. NS-Schergen und ihre Helfer brachten auch in Wuppertal Terror über die jüdischen Mitbürger und steckten die beiden Synagogen in Elberfeld und Barmen in Brand. Etwa 90 jüdische Männer wurden verhaftet und später ins KZ Dachau deportiert. Drei Menschen nahmen sich wegen der Vorkommnisse das Leben.
Diese Ereignisse dürften nie vergessen werden, sie gelte es gerade jetzt in Erinnerung zu halten – in einer Zeit, in der wieder „Abgeordnete des rechten Spektrums“ in den deutschen Parlamenten vertreten seien, die keine Hemmungen hätten, den Nationalsozialismus zu verharmlosen und mit Neonazis zu demonstrieren, erklärte Mucke. Die Mehrheitsgesellschaft sei jetzt aufgefordert, gegen den sich verstärkenden Antisemitismus in der Gesellschaft entschieden Position zu beziehen. „Lassen Sie uns gemeinsam und laut die Stimme erheben“, sagte Mucke. „Bleiben wir wachsam – in unserer Gesellschaft und überall!“
Philipp Schepmann
trug Texte vor
Der Schauspieler und Sprecher Philipp Schepmann trug mehrere Texte vor. Dazu gehörte auch „Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch“ von Gershom Scholem. Der jüdische Religionshistoriker hatte den Text im Jahr 1962 veröffentlicht und ein verbittertes und rigoroses Fazit zum deutsch-jüdischen Dialog gezogen. Ein solches Gespräch habe es vonseiten der Deutschen in den letzten 200 Jahren nie gegeben. Es sei eine „Fiktion“, die von den Juden mit Blick auf die Millionen von Toten „zu hoch bezahlt“ wurde. „Mit Toten ist kein Gespräch mehr möglich“, erklärt Scholem in seinen Ausführungen.
Auch aus den Tagebüchern des Romanisten und Politikers Victor Klemperer las Schepmann. Für die Tage vom 23. Mai bis 25. November 1938 notierte Klemperer unter anderem, wie er als jüdischer Mitbürger die fortschreitende Entrechtung und „Judenhetze“ erlebte, zugleich aber auch weiterhin „Hoffnung auf einen Umschwung“ hatte. Den „Mut zum Selbstmord“ brachte Klemperer nach eigenen Angaben nicht auf. Die Zeit sei vielmehr durch „Stumpfheit und Warten“ geprägt.