Gesellschaft und Soziales Wuppertal: Färberei und Kokobe feiern gemeinsam „50-Jähriges“ mit Festwochenende
Wuppertal · Das Zentrum für Inklusion und Integration besteht 30 Jahre, die Beratungsstelle 20 Jahre.
Weil sie die Vielfalt stärkt, weil sie offen ist für alle, weil man sich angenommen, eingeladen und zu Hause fühlt – die Redner zählten viele Gründe auf, warum sie die Färberei, das Zentrum für Integration und Inklusion in Oberbarmen, und auch die darin beheimatete Beratungsstelle KoKoBe schätzen. Beide Einrichtungen feierten gemeinsam Geburtstag, augenzwinkernd „50-jähriges Bestehen“ genannt – 30 Jahre Färberei, 20 Jahre KoKoBe. Bei einer abwechslungsreichen Feierstunde am Freitagvormittag kamen Weggefährten und Mitstreiter zu Wort, am Freitagabend war eine Geburtstags-Single-Party angesagt, am Samstag waren Besucher zum Open-Air-Festival „Summer in the City III“ mit Musik und vielen Aktionen auf dem Vorplatz geladen und für Sonntag lud die KoKoBe zu Kaffee und Kuchen, Musik und Tombola – auch Oberbürgermeister Uwe Schneidewind wurde erwartet.
Bei der Feierstunde, durch die der ehemalige Sozialdezernent Stefan Kühn führte, lobten die Rednerinnen und Redner in unterschiedlichen Formaten – mal in Form eines Quiz, mal im Interview – welch ansteckend positive Atmosphäre in der Färberei herrscht, welch wichtige Arbeit sie und die Beratungsstelle leisten: „Die Färberei ist eine Institution, die aus dem Stadtteil nicht mehr wegzudenken ist“, sagte etwa Bezirksbürgermeisterin Heike Reese.
Die Färberei wurde 1994 eröffnet, nachdem eine Gruppe um Peter Hansen und Ellen Dieball die Idee eines „Kommunikationszentrums für behinderte und nichtbehinderte Menschen“ entwickelt hatten. Für das Kommunikationszentrum stellte die Stadt das alte Industriegebäude zur Verfügung.
Seitdem ist die Färberei Begegnungsraum für Behinderte und Nichtbehinderte. Es gibt Konzerte, Ausstellungen, Tanzveranstaltungen und Lesungen, Theatervorstellungen und Podiumsdiskussionen, Sprachkurse und Bewegungsworkshops, es tagen Gremien, es gründeten sich Selbsthilfegruppen und das Forum Oberbarmen. Das Herzstück ist das Café, in dem es täglich Mittagstisch sowie Kaffee und Kuchen gibt, wo man sich zur Stärkung oder zum Plausch trifft.
Inklusiv ist die Färberei, weil die Räume alle mit dem Rollstuhl zugänglich sind, zur Zeit der Eröffnung noch einzigartig in Wuppertal. Inklusiv ist die Färberei aber vor allem durch die Haltung aller Akteure, die Menschen „in ihrem So-Sein“ akzeptiert. Die sich für eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft einsetzt.
Die Färberei wird
weiter wachsen
Diese Haltung trägt die Färberei auch in den Stadtteil: Dabei nutzt sie unter anderem Kultur, insbesondere in Kooperation mit der Künstlergruppe „Mobile Oase“ um Roland Brus. Deren Projekte „Die Wüste lebt“ und inzwischen „transit_oberbarmen“ locken immer wieder Menschen aus der Reserve, laden sie zum Mitmachen ein und geben ihnen eine Stimme. Geschäftsführerin Iris Colsman verglich die Arbeit der Färberei mit einem „Sauerteig, der täglich neu angerührt und gebacken wird“. Und: „Das Rezept wird laufend angepasst.“
Zum Angebot der Färberei gehörte auch Beratung. Die Nachfrage war bald so groß, dass die Färberei gern Träger einer der neuen „KoKoBe – Koordinierungs-, Kontakt und Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung“ wurde, die der Landschaftsverband Rheinland initiierte. Vor 20 Jahren wurde sie eröffnet und bietet seitdem unabhängige Beratung für Menschen mit Behinderung rund um die Themen Wohnen, Freizeit und Arbeit. Ziel ist dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Zu den Aufgaben gehören auch die Vernetzung von Angeboten und ein Veranstaltungskalender. Legendär sind die Single-Partys in der Färberei jeden ersten Freitag im Monat. „Jeder sollte das mal erlebt haben“, lud KoKoBe-Teamleiterin Gudrun Nolte die Gäste der Feierstunde ein.
„Die KoKoBe hat viel bewegt“, zog sie Bilanz – für Einzelne und die Gemeinschaft. Etwa durch die Sensibilisierung von Freizeiteinrichtungen für die Belange von Menschen mit Behinderung. Erweitert wird die Arbeit künftig durch das „Peer Counselling“, bei dem Menschen, die selbst eine Behinderung haben, Menschen mit Behinderung beraten.
Auch die Färberei wird weiter wachsen: Sie wird künftig auch das Ladenlokal zwischen Färberei und Berliner Straße nutzen, das Café dorthin umziehen. Die Stadt hat das Gebäude gekauft. Die Färberei soll Anfang des Jahres für eine Übergangszeit einziehen, bevor 2027 und 2028 ein umfassender Umbau stattfindet.
In der Leitung stehen ebenfalls Veränderungen an. Iris Colsman geht nach elf Jahren in den Ruhestand, wird zuvor ihre Nachfolgerinnen eine Weile begleiten: Das sind Daniela Raimund, die seit 2022 die Kulturarbeit der Färberei organisiert, und Kati Trempler. Sie wollen die Arbeit wie bisher weiterführen, aber auch weiter entwickeln; sich weiter im Quartier einbringen, Raum für politischen Diskurs schaffen und das Thema Nachhaltigkeit weiter voranbringen. „Wir müssen das Schiff durch stürmische Zeiten steuern, aber wir bleiben inklusiv, divers und kreativ“, versprach Kati Trempler.
Auf einige Aspekte der stürmischen Zeiten gingen die Politiker Helge Lindh, SPD-Bundestagsabgeordneter, und Josef Neumann, SPD-Landtagsabgeordneter, ein. Helge Lindh zeigte sich besorgt über das gute Abschneiden der AfD in Thüringen, obwohl deren Chef Björn Höcke die Zeit des Nationalsozialismus relativiere, in der Menschen mit Behinderung ausgegrenzt, sterilisiert und ermordet wurden. Höcke habe zudem die Inklusion „Irrweg“ und „Belastungsfaktor“ genannt. Daher brauche es eine „Einfärbung“ der Gesellschaft – wie es die Färberei leiste. Moderator Stefan Kühn erinnerte zudem an einen Anschlag in Mönchengladbach, bei dem ein Stein gegen ein Behindertenwohnheim geworfen wurde mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“. Er warnte, Rechtsextreme redeten nicht nur, „die tun das auch“.
Josef Neumann blickte auf den Anschlag in Solingen: Weil das Stadtfest ein „Fest der Vielfalt“ gewesen sei, sei der Anschlag auch „ein Angriff auf die Vielfalt dieser Gesellschaft“. Ohne die Offenheit für Vielfalt sei die im Grundgesetz garantierte Würde des Menschen nicht möglich. Er forderte auf, Menschen wieder zurückzugewinnen, indem man mit ihnen spricht, dabei auch schwierige Meinungen aushält.