In der ganzen Welt zu Hause Wuppertal – und dann die ganze Welt: Globetrotter Klaus Stiebeling (86) blickt zurück
Wuppertal · Mit 86 Jahren blickt Klaus Stiebeling auf ein abenteuerliches Leben zurück, das vom Theater an der Bergstraße über Kathmandu bis nach Japan reicht.
„Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt. Sieh sie dir an“, schrieb einst Kurt Tucholsky. Klaus Stiebeling hat es getan, gewagt vielmehr. Doch während die Weltreisen für ihn buchstäblich grenzenlose Freiheit bedeuteten, musste der Gründer des deutsch-japanischen Freundeskreises in Wuppertal im vergangenen Herbst ins Pflegeheim Lutherstift in Elberfeld ziehen. „Zuhause komme ich nicht mehr allein zurecht.“
Sein Haus im Quartier Eckbusch gehört ihm zwar weiterhin, sein Umfeld im Heim beschränkt sich jedoch mittlerweile auf ein Bett, einen Tisch, einen Sessel und zwei Schränke, flankiert von Fernseher und Computer. An der Wand hängt eine Seite aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sich dem Ginkgo widmet – eine seiner Leidenschaften –, daneben Grußkarten; am 1. Januar wurde Stiebeling 86 Jahre alt. „Es ist traurig, jetzt auf ein Einzelzimmer zurückgeworfen zu sein.“ Und doch sagt er: „Ich schaue auf ein erfülltes Leben.“
1939 in Wuppertal geboren, fand er früh Gefallen daran, wie Kultur und Kulturen das Leben bereichern können. Mit der WZ blickt er zurück. Zunächst einmal war da das Theater. „Ich war leidenschaftlicher Theatergänger, und wenn vom Alten Schauspielhaus in Wuppertal die Rede ist, bedeutet das für mich das frühere Schauspielhaus in der Bergstraße in Elberfeld.“ Es wurde 1949 errichtet und diente zunächst als Notunterkunft nach dem Krieg, bis es 1966 durch das Schauspielhaus an der Kluse ersetzt wurde.
„Als das Haus an der Bergstraße seine große Zeit hatte, war ich Lehrling in der Buchhandlung Nettesheim, die sich wenige hundert Meter entfernt befand – und zu der Zeit waren viele Läden noch mittags von 13 bis 15 Uhr geschlossen.“ Stiebeling habe dies regelmäßig genutzt, um sich in den Zuschauerraum einzuschleichen. „Das war einfach, weil die Türen unverschlossen waren und auf der Bühne geprobt wurde.“ Er habe mucksmäuschenstill in der letzten Reihe gesessen. So konnte er viele Darsteller, die später großen Ruhm erlangten, in ihren Anfängerrollen erleben, darunter Ursula von Reibnitz, Horst Tappert, Harald Leipnitz und Johanna von Koczian. „Ich fand das aufregend.“ In die österreichische Schauspielerin Christine Ostermayer sei er „richtig verliebt“ gewesen. „Ihre Erscheinung, ihr charmantes Gesicht, von ihr habe ich alle Aufführungen gesehen“; vor allem ihre Minna von Barnhelm habe ihn beeindruckt.
Wohin geht’s? In San Francisco heuerte er auf einem Frachter an
Die Begeisterung für das Theater entfachte seine Tante in ihm: „Als ich 14 Jahre alt war, hat sie mich zu einer Opernaufführung in die Stadthalle mitgenommen: Der Fliegende Holländer.“ Die Leidenschaft führte so weit, dass er auch als Statist am Opernhaus Barmen tätig war, unter anderem in „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith, mit dem das Haus 1956 eröffnet wurde.
Doch seine Interessen waren vielfältig, er wollte Abenteuer erleben. „Mein Vater hatte einen Bauernhof und ich sollte sein Nachfolger werden, aber das war mit mir nicht zu machen.“ Er absolvierte eine Lehre als Verlagskaufmann im Verlag W. Girardet, zu dem auch die Westdeutsche Zeitung gehörte, und schloss eine Lehre als Buchhändler an. Dann packte ihn das Fernweh, das ihn nie wieder loslassen sollte. Schon als Jugendlicher war er nach Dänemark getrampt, nach Schweden, Norwegen und Finnland. „Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich in die USA will.“ Und er machte es. Um etwas Geld zu verdienen, half er auf einer Farm im Bundesstaat Michigan bei der Obsternte. Im Hafen von San Francisco gelang es ihm, beim dänischen Frachter „Dragor Maersk“ anzuheuern. „Sie haben mich als Messboy eingestellt.“ Messe nennt man unter Seeleuten die Kantine und den Aufenthaltsraum. „Ich war dafür zuständig, die Mannschaft zu bekochen.“ Bei Gelegenheit fragte er, wohin das Schiff eigentlich unterwegs sei. Der Frachter transportierte Rindfleisch nach Japan.
Dieses Land wurde für Klaus Stiebeling zur Erleuchtung. Zuvor jedoch reizte ihn noch der Orient: „Ich hatte einen alten VW Käfer, mit dem ich 1966 über Österreich, Griechenland und die Türkei bis in den Iran gefahren bin.“ In Teheran, der Hauptstadt des Landes, stellte er seinen Wagen vor einem Café ab, ließ ein in der Landessprache formuliertes Schild „Auto zu verkaufen“ anbringen und wartete. Zwei Stunden später war er seinen Wagen los.
Per Anhalter reiste er mit Lkw-Fahrern nach Kabul in Afghanistan – „damals noch ein friedliches Land“ – und weiter nach Indien, um einer Beerdigungszeremonie am Ufer des Ganges beizuwohnen, bei der die Leichen verbrannt werden. Kalkutta hingegen habe er als „die schrecklichste Stadt“ erlebt, die er jemals gesehen habe. „Dreck und Armut, da wollte ich schnell wieder weg.“ Weil Nepal „in der Nähe“ lag, wie er erzählt, kaufte sich Stiebeling ein Busticket nach Kathmandu. „Das war die höllischste Fahrt meines Lebens. Es ging in die Berge und an den Schluchten entlang, die sehr tief waren, trotzdem hatte es der Fahrer auf Geschwindigkeit abgesehen.“
Der Wuppertaler stand es durch – und kehrte 1967 für 30 Jahre nach Japan zurück. Er lernte die Bescheidenheit der Einwohner schätzen – „und dass sie wissen, wie man sich entschuldigt. Hier in Deutschland habe ich dabei einen großen Mangel erlebt.“ In Japan arbeitete er zuerst in einem deutschsprachigen Verlag als Korrektor, etwa von Wörterbüchern, gründete nach sechs Jahren eine Firma, um Kunstbücher und Druckgrafiken aus Deutschland zu importieren. Der Buchhändler steckte schließlich in ihm. Japanisch konnte er bis dato allerdings gar nicht. „Also habe ich eine Sprachschule besucht.“ Das half, zumal er seine erste japanische Ehefrau in einer Bank kennenlernte. Aus der Ehe ging ihre Tochter Akiko hervor; die heute 56-Jährige ist Modedesignerin in Düsseldorf. Zu ihr und ihrer Mutter hat Stiebeling leider keinen Kontakt mehr. „Ich würde mir sehr wünschen, wenn wir uns noch einmal sehen könnten.“
Seine zweite Frau Yasuko, von der er ebenfalls getrennt lebt, war Kunsterzieherin an einer Junior High School in Tokio. Ihr gemeinsamer Sohn Daniel Akira machte sein Abitur bereits in Wuppertal am Gymnasium Bayreuther Straße, studierte Agrarwissenschaft und arbeitet derzeit an seiner Doktorarbeit an der Hochschule in Flensburg. „Ich hoffe, dass ich meinen Sohn noch mit dem Doktorhut erlebe“, sagt Klaus Stiebeling. „Das könnte im April soweit sein.“ Wenn das Leben es erlaubt.