Wuppertal vor zwei Jahrhunderten: Aufstand gegen die Besatzer

Wie 1813 im Bergischen Land der erste deutsche Aufstand gegen die Herrschaft Napoleons ausbrach und niedergeschlagen wurde — ein Gastbeitrag.

Foto: Archiv/Bergischer Geschichtsverein

Düsseldorf im Jahr 1813. Es ist März. 150 bergische Soldaten, meistens Infanteristen, ziehen „ganz geräuschlos über die Benrather Brücke in die Kaserne“. Zusammen mit etwa 130 bergischen Kavalleristen, die im März in ihre Garnison in Hamm zurückkehrten, waren sie der Rest der im Russlandfeldzug Napoleons vernichteten bergischen Armee von etwa 5000 Mann. Im Ganzen werden nicht mehr als fünf Prozent derjenigen bergischen Soldaten, die in Russland kämpften, überlebt haben.

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Zur Vorgeschichte: Düsseldorf war vor 200 Jahren Hauptstadt des napoleonischen Großherzogtums Berg. Der Staat wurde vom französischen Kaiser mehrfach territorial verändert. In seiner größten Ausdehnung umfasste er zwischen Lingen an der Ems und der Lahn etwa 17.718 Quadratkilometer mit zirka 880.000 Einwohnern. Napoleons „Grande Armée“ wiederum zählte während des Russlandfeldzugs 1812 mit allen Reserven über 600.000 Mann. Die bergische Armee war ein Teil des 9. französischen Armeekorps, das zur Reserve gehörte.

Seit dem 18. Oktober 2012 war die Grande Armée auf dem fluchtartigen Rückzug aus Moskau. Am weißrussischen Fluss Beresina drohten ihren Resten, etwa 70.000 Mann die Einkesselung und Vernichtung. Zu den Truppen, die einen schmalen Fluchtkorridor über die Beresina verteidigten, gehörte auch das 9. Armeekorps. Von den nur etwa 150 bergischen Infanteristen, die diese Schlacht überlebten, starben die meisten auf dem weiteren Rückzug. In den Kriegen Frankreichs fielen seit 1807 etwa 16.000 bergische Soldaten.

Dadurch war bereits vor dem Russlandfeldzug bekannt, dass die Einziehung zur Armee mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tod oder dauerhafte körperliche Schäden bedeutete. Dies trug dazu bei, dass sehr viele junge Männer sich dem Wehrdienst durch Desertion, Flucht ins Ausland, Fahnenflucht zum Gegner oder auch körperliche Selbstverstümmelung entzogen.

Napoleon reorganisierte seit Ende 1812 seine Armee und ließ deswegen bis zum Sommer 1813 in Frankreich und in den von ihm beherrschten Gebieten 300.000 Rekruten ausheben — für einen inzwischen völlig sinnlosen Krieg gegen die überlegene Allianz aus Russland, Großbritannien, Österreich, Preußen, Schweden und Spanien. Am 9. Januar 1813 ordnete Napoleon im Großherzogtum Berg an, schnellstens 2500 junge Männer zu rekrutieren. Dabei war der Untergang der französischen Armee in Russland und mit ihr der Tod der bergischen Soldaten seit der zweiten Dezemberhälfte 1812 in Berg bekannt.

Bei den jungen Männern, für die der Musterungsbefehl galt, verband sich der Hass auf die Fremdherrschaft mit der Angst, für diese sterben zu sollen. Hinzukam die wirtschaftliche Situation in Berg, insbesondere in den in erheblichem Umfang industrialisierten Gebieten des Wuppertals, Remscheids und Solingens. Deren Textil- und Stahlwarenproduktion wurde überwiegend in europäische und überseeische Gebiete exportiert. Versperrte man diese Märkte, so brach die bergische Wirtschaft zusammen — mit katastrophalen Folgen insbesondere für die ärmere, von Arbeitslöhnen abhängige Bevölkerung.

Der französische Historiker Charles Schmidt veröffentlichte 1905 zum Staat Berg das heute noch gültige Standardwerk, dessen deutsche Übersetzung 1999 durch den Bergischen Geschichtsverein herausgegeben wurde: „Das Großherzogtum Berg 1806-1813. Eine Studie zur französischen Vorherrschaft in Deutschland unter Napoleon I.“ Schmidt schreibt dort (S. 300), „daß das Großherzogtum unter den französischen Zolltarifen und dann unter der Kontinentalsperre mehr als jedes andere Land gelitten hat“.

So kam es Ende Januar in Berg zum ersten Volksaufstand gegen Napoleon in Deutschland. Am 20. Januar 1813 begannen in Elberfeld und Solingen Unruhen, die sich vom 24. bis 29. Januar auf die Gebiete des Bergischen Landes und auf das Siegerland ausbreiteten. Bergische Orte waren Ronsdorf, Remscheid, Cronenberg, Solingen, (Solingen-)Wald, Wermelskirchen, Wipperfürth, Gummersbach, Velbert, Hilden und Mettmann.

Die jungen Männer ließen Zar Alexander als den Hauptgegner Napoleons hochleben und hefteten sich ein R an ihre Mützen als Zeichen der Sympathie für Russland. Da sie überwiegend mit Knüppeln bewaffnet waren, nannte man sie „Knüppelrussen“, im Oberbergischen auch „Speckrussen“. Einer ihrer Kampfrufe lautete: „Es lebe Alexander, es leben die Kosaken, wir wollen die Ehre haben, die ersten Aufständischen zu sein.“

Die Bevölkerung hatte durchaus Sympathie für den Aufstand, unterstützte ihn aber nicht. Man fürchtete zu Recht brutalste Repressionen der Franzosen. Den bürgerlichen Führungsschichten passte zudem ein Aufstand von jungen Mitgliedern vor allem der Arbeiterschaft der Fabriken (Schmidt nennt ihn einen „Arbeiteraufstand“), aber auch der Handwerkerschaft, der Bauern, der Tagelöhner überhaupt nicht in ihr Weltbild.

Am 28. Januar kam es in Barmen zum Aufstand, und am 29. stießen die jungen Männer aus Solingen, (Solingen-) Wald und Cronenberg dazu, so dass der Trupp auf rund 500 Mann kam. Am 30. zog man nach Elberfeld und vereinigte sich mit den Elberfelder Aufständischen. Nun waren es mindestens 1000 Mann, als plötzlich gut 50 Reiter, bergische Kavallerie und berittene Gendarmen, die auf dem Neumarkt versammelten Aufständischen angriffen und nach kurzem Kampf zerstreuten.

Die Kavallerieeinheit hatte sich in das Elberfelder Gassengewirr nur hineingewagt, nachdem der Elberfelder „Maire“ (Bürgermeister) Rütger Brüning und einige andere Bürger ihnen Unterstützung zugesagt hatten. Am 3. Februar fällte ein Standgericht gegen den 26 Jahre alten Elberfelder Seidenweber Peter Merten das Todesurteil wegen angeblicher Rädelsführerschaft. Am 6. Februar wurde es auf dem Neumarkt vollstreckt.

Im Ganzen sollen etwa zehn „Rebellen“, hingerichtet worden sein. Berg kam bis zum Ende der französischen Herrschaft nicht mehr zur Ruhe, und Napoleon sah die nach dem Aufstand neu aufgestellten bergischen Truppen als so unzuverlässig an, dass er es nicht wagte, sie gegen die Alliierten einzusetzen — was sehr vielen das Leben rettete. Napoleon verlegte die bergische Infanterie im April und Mai 1813 in die Festung Cherbourg — halb als Gefangene. Nach dem Ende des Großherzogtums kehrte sie erst 1814 in die Heimat zurück.

Der „Knüppelrussenaufstand“ fand in ganz Deutschland Beachtung und trug dazu bei, den „Befreiungskrieg“ gegen Napoleon in Gang zu setzen. Mitte November 1813, nach der Völkerschlacht von Leipzig, warfen russische Truppen die Franzosen aus Berg hinaus. Am 9. November erschienen die ersten Kosaken im Wuppertal und einen Tag später in Düsseldorf. Sie wurden als Befreier begeistert begrüßt.